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AKZIDENZ ODER INTEGRALER TEIL DER LITURGIE?

DIE THEOLOGISCHEN POSITIONEN ZUR KIRCHENMUSIK

IN DEN BESCHLÜSSEN DES II. VATIKANUMS

 

(Vortrag 1.12.2006: Tagung über „Päpstliches Liturgieverständnis im Wandel der Jahrhunderte“, Deutsches Historisches Institut, Rom)

 

Vorbemerkung

 

Die Kirchenmusik – „Akzidenz oder integraler Teil der Liturgie?“. Zur Beantwortung dieser Frage ist als erstes der Artikel 112 der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils heranzuziehen, der einleitende Artikel des Kirchenmusikkapitels (Kap. VI).[1] Sodann sind weitere Aussagen im Kapitel über die Kirchenmusik zu erheben, die theologische Anhaltspunkte liefern. Eine dritte Quelle stellt Kapitel I dar, das allgemeine Grundsätze von Theologie und Reform der Liturgie enthält. Schließlich wäre noch die restliche Konstitution nach theologischen Ansätzen im Blick auf Kirchenmusik abzusuchen.

 

I. Artikel 112

 

Der Aufbau des Kapitels VI lag schon vor dem ersten Gesamtentwurf (Liturgieschema 11.8.1961) fest; er folgte der traditionellen Rangordnung nach Musikstilen (wie erstmals 1903 im Motu proprio „Tra le sollecitudini“ von Pius X. formuliert): 1. Gregorianik; 2. Klassische Polyphonie; 3. E-Musik der Gegenwart; 4. Religiöser Volksgesang.

 

Dieser Abhandlung nach Rangstufen geht der einleitende Artikel 112 voraus, von dem man theologische Perspektiven erwarten sollte. Wird die Erwartung eingelöst?

112. Die musikalische Überlieferung der gesamten Kirche stellt einen Schatz von unschätzbarem Wert dar, der sich unter den übrigen Ausdrucksformen der Kunst vor allem dadurch auszeichnet, dass er als heiliger Gesang, der mit Worten verbunden ist, einen notwendigen und wesentlichen Bestandteil der feierlichen Liturgie ausmacht.

 

In der Tat haben sowohl die Heilige Schrift die heiligen Gesänge mit Lob hervorgehoben als auch die heiligen Väter und die Römischen Bischöfe, die in neuerer Zeit, ausgehend vom heiligen Pius X., die dienende Aufgabe der Kirchenmusik im Gottesdienst eindrücklicher beleuchtet haben.

 

Daher wird die Kirchenmusik umso heiliger sein, je enger sie mit der liturgischen Handlung verknüpft ist, sei es, dass sie das Gebet inniger zum Ausdruck bringt oder die Einmütigkeit fördert, sei es, dass sie die heiligen Riten mit größerer Feierlichkeit bereichert. Die Kirche aber billigt alle Formen wahrer Kunst, die mit den gebührenden Eigenschaften ausgestattet sind, und lässt sie zum Gottesdienst zu.

 

Unter Wahrung der Richtlinien und Gebote der kirchlichen Überlieferung und Ordnung sowie im Hinblick auf den Zweck der Kirchenmusik, der die Ehre Gottes und die Heiligung der Gläubigen ist, trifft das Hochheilige Konzil also die folgenden Anordnungen.

 

Die entscheidenden Begriffe erscheinen unscharf und mehrdeutig. Das lässt sich besonders an folgenden vier Begriffen zeigen:

 

(1) Musik als ein notwendiger und wesentlicher Bestandteil („pars necessaria vel integralis“) der Liturgie; „integralis“ bedeutet integrierend, wesentlich, zum Ganzen gehörig.

Wie wesentlich ist die liturgische Musik wirklich? Josef Andreas Jungmann schreibt in seinem Kommentar: „Die Musik ist nicht nur Zutat und Ausschmückung der Liturgie, sie ist selber Liturgie, integrierender Bestandteil, der zwar nicht zum Wesensbestand, aber zur vollen Gestalt der Liturgie gehört, ähnlich wie Hand und Fuß zur Vollgestalt des Menschen gehören.“[2]

 

Hier sind zwei Einschränkungen zu bedenken:

a) Es geht nur um die feierliche („sollemnis“) Liturgie. Das betrifft vor allem Hochformen von Messfeier und Stundengebet.

b) Es handelt sich um Vokalmusik, textbezogene Musik. Reine Instrumentalmusik ist also eher verzichtbar.

 

(2) Die dienende Aufgabe („munus ministeriale“) der Musik für die Liturgie.

Offen erscheint die Frage: Wertet der neue Begriff die Musik in ihrer Eingenständigkeit auf – gegenüber früheren Bezeichnungen wie Magd („ancilla“) oder Dienerin („administra“) – oder soll gesagt sein: Die Musik muss wirklich dienen und darf sich nicht verselbständigen?

 

(3) Formen wahrer Kunst („verae artis formae“).

Ebenso offen bleibt hier die Frage: Soll die Kirchenmusik möglichst auf hohem Niveau stehen, wie es für das Mysterium angemessen erscheint, oder lässt die mystische Tiefe des Geschehens sich auch in einfachen musikalischen Formen ausdrücken?

 

(4) Die Kirchenmusik als heilige.

Der Begriff „Heiligkeit“ erscheint eindeutiger: Die „musica sacra“ ist eine „sancta“ (bzw. „sanctior“), wenn sie im Gottesdienst die richtige Funktion erfüllt; das heißt, sie muss sich für die liturgische Handlung eignen, sie muss ein passendes Klanggewand für ein bestimmtes Element darstellen. Stil- oder Repertoirefragen sollten dabei keine Rolle spielen. Heiligkeit ist hier also keine romantisch-ästhetische Kategorie.

 

II. Restliches Kapitel VI: Artikel 113-120

 

Bei den übrigen Artikeln im Kirchenmusikkapitel lässt sich zweierlei beobachten:

 

(1) Ein Grundkriterium ist die tätige Teilnahme („participatio actuosa“) des Volkes (Art. 113): Damit ist weniger die rezeptive Teilnahme gemeint, das andächtige Lauschen auf dargebotene Kunstmusik, vielmehr ist an eine wirklich aktiv-mitmachende Teilnahme gedacht (was keineswegs Aktionismus, Betriebsamkeit heißen muss).

 

(2) Die Kirchenmusik wird auch in weltkirchlicher Perspektive betrachtet – allerdings eingeschränkt.

Einerseits werden Merkmale abendländischer Musiktradition zum Teil überschwänglich herausgestellt: der Schatz („thesaurus“) der Kirchenmusik (Art. 114), der Gregorianische Choral (Art. 116) und die Pfeifenorgel (Art. 120). Diese eurozentrische Perspektive lässt einheimische Musizierformen junger Kirchen eher als minderwertig erscheinen.

 

Andererseits werden regionale Musikkulturen durchaus aufgewertet: Den Vorrang der Gregorianik beschränkt die Klausel „ceteris paribus“ (unter sonst gleichen Umständen; bei Gleichheit des Übrigen), das heißt, gegebenenfalls kann man auch andere Gesänge vorziehen (Art. 116). Volkssprachlicher Gesang wird als voll liturgiefähig anerkannt (Art. 119). Und: andere Instrumente neben der Pfeifenorgel oder alternativ sind prinzipiell zulässig (Art. 120).

 

III. Kapitel I: Artikel 5-46

 

Dass das Kirchenmusikkapitel auch im Kontext der Aussagen der Grundsatzkapitels I zu lesen ist, zeigen die entsprechenden Querverweise auf die Themen:

- „Teilnahme der Gemeinde“ (vgl. Art. 14; 21),

- „Rollenverteilung“ (Art. 114 verweist auf Art. 28),

- „liturgische Würde der Volkssprache“ (Art. 113 verweist auf Art. 36),

- „Anpassung der Liturgie an ethnische, kulturelle und soziologische Gegebenheiten“ (Art. 119/120 verweisen auf Art. 34; 37-40).

 

Hinzu kommen Aussagen über den liturgischen Laiendienst (Art. 29) sowie – musikalische und andere – Ausdrucksformen der tätigen Teilnahme (Art. 30).

 

29. Auch die Ministranten, Lektoren, Kommentatoren und diejenigen, die zum Kirchenchor gehören, versehen einen wahren liturgischen Dienst. Deswegen sollen sie ihr Amt in solch aufrichtiger Frömmigkeit und Ordnung vollziehen, wie sie einem so bedeutenden Dienst ziemen und wie sie das Volk Gottes mit Recht von ihnen verlangt.

 

Deshalb müssen sie in der einem jeden angemessenen Weise sorgfältig in den Geist der Liturgie eingeführt und dazu ausgebildet werden, ihre Aufgaben in rechter Art und Ordnung anzugehen.

Artikel 29 sagt aus, dass es auch einen „wahrhaft liturgischen Dienst“ durch Laien gibt: Aufgezählt werden Ministranten, Lektoren, Kommentatoren und die Mitglieder der Kirchenchöre, und zwar ohne dass das Geschlecht der Betreffenden eine Rolle spielt. Eine förmliche Beauftragung, wie sie gemäß der Musikinstruktion von 1958 nötig war, wird dazu nicht für erforderlich gehalten. Die Taufe allein ist Voraussetzung für die Ausübung von Laiendiensten innerhalb der Liturgie.[3] Wenn z.B. ein Kantor einen Antwortpsalm singt, ist das ein wesentlicher liturgischer Akt; ohne diesen Gesang würde das Element verkümmern.

 

30. Um die tätige Teilnahme zu fördern, soll man für die Akklamationen des Volkes, die Antworten, den Psalmengesang, die Antiphonen, die Lieder sowie die Handlungen bzw. Gesten und de Körperhaltungen Sorge tragen Auch das heilige Schweigen soll zu seiner Zeit gewahrt werden.

 

Art. 30 spricht von der Gemeinde der Gläubigen. An Formen tätiger Teilnahme der Gemeinde wurden in den Entwürfen nur „preces litanicae“ und „cantus populus“ genannt. Unter „preces litanicae“ ist das zu verstehen, was später „Allgemeines Gebet“ oder „Fürbitten“ genannt werden wird. In den Entwürfen werden als weitere Formen der gemeindlichen (tätigen) Teilnahme Akklamationen und Antworten, Psalmengesang und Antiphonen, Handlungen oder Gesten und Körperhaltungen erwähnt. Im endgültigen Text ist die Erwähnung der Fürbitten gestrichen, wohl wegen möglicher Missverständnisse.[4] Auch die Gemeinde vollzieht also im Singen einen vollwertigen (unverzichtbaren) liturgischen Akt.

 

IV. Restliche Kapitel: II, III, IV, V, VII

 

Zwei theologisch markante Stellen seien herausgegriffen:

 

(1) Christus und Kirche (Kap. IV, Art. 83)

 

83. Als der Hohepriester des Neuen und ewigen Bundes, Christus Jesus, die menschliche Natur annahm, hat er in diese irdische Verbannung jenen Hymnus eingeführt, der in den himmlischen Wohnsitzen durch alle Ewigkeit gesungen wird. Die gesamte Menschengemeinschaft schart er um sich und verbindet sie im Gesang dieses göttlichen Lobliedes mit sich.

 

Diese priesterliche Aufgabe setzt er nämlich durch eben seine Kirche fort, die nicht nur durch das Feiern der Eucharistie, sondern auch auf andere Weisen, besonders im Vollzug des Stundengebets, den Herrn ohne Unterlass lobt und für das Heil der ganzen Welt bittet.

 

Artikel 83, der das Kapitel IV (Stundengebet) einleitet, beginnt mit Worten aus der Enzyklika Pius’ XII. Mediator Dei (1947): Christus ist der erste Liturge. Er sammelt die Menschheit um sich, damit sie mit ihm zusammen Gott zu Ehren das Lob singt. Die Kirche leiht Christus sozusagen ihren Mund, wenn sie ohne Unterlass Gott lobt und für das Heil der Welt bei ihm eintritt. Sie kann jedoch diese priesterliche Aufgabe nur dann auf eine gottgefällige Weise wahrnehmen und fortsetzen, wenn Gott selbst ihr durch Christus den Hymnus zu seinem Lob und die Worte des fürbittenden Eintretens für das Heil der ganzen Welt in den Mund legt. Das Gebet der Kirche ist also Antwort auf die immer schon vorausgegangene und erfahrene Zuwendung Gottes, auf den Ruf Gottes an sie. Diese Antwort geschieht zunächst in der Versammlung der vom Herrn Zusammengerufenen (ekklesia). Hier tritt Christus selbst in ihre Mitte, er lässt sie an seinem Beten, an seinem Lob und an seiner Fürbitte teilnehmen; daher ist das Gebet der Kirche letztlich Teilnahme am Gebet Christi.[5] Das Singen der Gemeinde ist somit christologisch verankert.

 

(2) Schöpfung und Ästhetik (Kap. VII, Art. 122)

 

122. Zu den vornehmsten Betätigungen des menschlichen Geistes werden mit bestem Recht die edlen Künste gezählt, insbesondere aber die religiöse Kunst und ihre höchste Form, nämlich die sakrale Kunst. Diese sind ihrem Wesen nach ausgerichtet auf die unendliche göttliche Schönheit, die in menschlichen Werken irgendwie ausgedrückt werden soll, und widmen sich umso mehr Gott und der Förderung seines Lobs und seiner Ehre, als ihnen kein anderes Ziel gesetzt ist, als durch ihre Werke in höchstem Maße dazu beizutragen, die Herzen der Menschen in frommer Weise auf Gott hinzuwenden.

 

Die gütige Mutter Kirche war darum immer eine Freundin der schönen Künste und hat deren edlen Dienst beständig gesucht und die Künstler unterwiesen, vor allem damit die Dinge, die zum heiligen Kult gehören, wahrhaft würdig, geziemend und schön seien, Zeichen und Symbole überirdischer Dinge. Ja, die Kirche hat sich sogar mit Recht immer für eine Art Schiedsrichterin über sie gehalten, indem sie über die Werke der Künstler urteilte, welche dem Glauben, der Frömmigkeit und den ehrfurchtsvoll überlieferten Gesetzen entsprächen und für den heiligen Gebrauch als geeignet angesehen werden sollten...

 

Art. 122, der das Kapitel VII (Sakrale Kunst) einleitet, bezeichnet die Kirche als „Freundin der schönen Künste“. Dazu zählt – wie in einem Vorentwurf steht – Dichtung, Architektur, Malerei, Plastik, Goldschmiedekunst und Musik. Die Kirche hat den edlen Dienst der Künste stets gesucht und deshalb die Künstler immer auch unterwiesen, dass die Dinge, die zur Liturgie gehören, wahrhaft würdig, geziemend und schön sein müssen: Zeichen und Symbole überirdischer Wirklichkeiten. Die Kirche hat auch eine Art Schiedsrichteramt ausgeübt, wenn sie die Werke der Künstler im Hinblick auf die Förderung des Glaubens und der Frömmigkeit beurteilt und ihre Eignung für den Dienst in der Liturgie festgestellt hat.[6]

 

Dieser Artikel bietet einen Ansatz von Schöpfungstheologie, auch als Grundlage für Kirchenmusik. Er gibt sich zudem weltoffener, indem er auf eurozentrische Ansprüche verzichtet.

 

Fazit

Es sind einzelne Stellen der Liturgiekonstitution, die allenfalls ansatzhaft eine theologische Grundlegung der Kirchenmusik aufzeigen. Ein Gesamtkonzept ist jedoch nicht erkennbar. Das hätte wohl besser erreicht werden können, wenn die Kirchenmusik kein eigenes Kapitel erhalten hätte, sondern im Grundsatzkapitel I behandelt worden wäre, wie es bei den Themen „Tätige Teilnahme“ und „Liturgiesprache“ geschehen ist.

 

Bibliographie

Eckhard JASCHINSKI, Musica sacra oder Musik in Gottesdienst? Die Entstehung der Aussagen über die Kirchenmusik in der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ (1963) und bis zur Instruktion „Musicam sacram“ (1967) (Studien zur Pastoralliturgie 8). Regensburg 1990

Josef Andreas JUNGMANN, Konstitution über die heilige Liturgie („Sacrosanctum Concilium“ des Zweiten Vatikanischen Konzils). Einleitung und Kommentar, in: LThK.E1, 10-109

Reiner KACZYNSKI, Theologischer Kommentar zur Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium, in: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, hrsg. von Peter Hünermann / Bernd-Jochen Hilberath, Bd. 2: Kommentare, Freiburg 22004, 1-227

Josip GREGUR, Die nachkonziliare Bewertung der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“, in: Liturgiereformen. Historische Studien zu einem bleibenden Grundzug des christlichen Gottesdienstes, hrsg. von  Martin Klöckener / Benedikt Kranemann, Teil II: Liturgiereformen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Münster 2002, 751-784

 



[1] Siehe die neue Übersetzung der Liturgiekonstitution: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, hrsg. von Peter Hünermann, Bd. 2: Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils. Konstitutionen, Dekrete, Erklärungen, Freiburg i.Br. 22004, 3-56.

[2] Jungmann 1966: 95f.

[3] Vgl. Kaczynski 2004, 96f.

[4] Vgl. ebd. 97f.

[5] Vgl. ebd. 167f.

[6] Vgl. ebd. 194.

 

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