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Eckhard Jaschinski:

Kirchenmusik der Gegenwart

 

34 Beiträge in: Christ in der Gegenwart

– WEGE UND WELTEN

(ab 1. März 2009)

 

[1] Was ist „Neue Musik“?

 

Im Laufe der abendländischen Musikgeschichte gab es immer wieder etwas zu hören, das man als „neu“ empfand. Um 1300 sprach man von der „Ars nova“ (neue Kunst), die mit ihrer komplizierten Rhythmik die „Ars antiqua“ (alte Kunst) abgelöst hatte. Rund hundert Jahre später hieß eine weitere Neuerung „Nova ars“. Dabei begann man, das Intervall der Terz als wohlklingend zu empfinden.

 

Es folgte die etwa 150-jährige Periode der Franko-flämischen Schule. Immer stärker prägten Musikerpersönlichkeiten die Szene, allen voran der als Musikfürst gerühmte Niederländer Josquin Desprez (um 1450-1521). Die Mehrstimmigkeit der Frankoflamen gipfelte in der klassischen Polyphonie, verkörpert im Schaffen von Orlando di Lasso und Giovanni Pierluigi da Palestrina, dem Protagonisten der Römischen Schule.

 

Noch ehe diese beiden Meister das Zeitliche segneten, erwuchs auf italienischem Boden wieder etwas ganz Neues. Gelehrtenzirkel hatten um 1580 begonnen über die Vortragsweise in den antiken Dramen zu fachsimpeln. Daraus entwickelte sich der „redende Stil“ oder die „Monodie“: akkordhaft begleiteter Sologesang. Claudio Monteverdi und Heinrich Schütz führten diese Technik zur kunstvollen Meisterschaft.

 

Die Abfolge von Akkorden mit der tiefsten Stimme als Fundament läutete das Zeitalter des Generalbasses ein. Als dessen Großmeister gilt Johann Sebastian Bach, dem eine Synthese von komplexer Vielstimmigkeit, langgezogener Harmoniefortschreitung und stabiler Rhythmik gelang. Doch sein immer tieferes Eindringen in die Geheimnisse des Kontrapunkts galt den Zeitgenossen schon um 1730 als veraltet. Man bevorzugte stattdessen den galanten Stil mit eindeutigerer Melodie.

 

Georg Philipp Telemann, Meister der Mannheimer Schule sowie Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart komponierten in diesem Stil, wobei vor allem Mozart zu einem unverwechselbaren persönlichen Ausdruck fand. Ludwig van Beethoven knüpfte an Haydn und Mozart an, beschritt dann aber ganz bewusst „neue Wege“ des Komponierens.

 

Mit „Neue Bahnen“ betitelte der Romantiker Robert Schumann 1853 einen Aufsatz über die Kompositionen des zwanzigjährigen Johannes Brahms. Dieser verstand sich Fortführer des klassischen Erbes absoluter (von Themen „losgelöster“) Musik, während die „Neudeutschen“ um Franz Liszt und Richard Wagner ihre Musik mit außermusikalischen Motiven verbanden.

 

Im Wesentlichen spielte sich das musikalische Geschehen immer noch in einem Tonraum ab, dessen Zentrum der Dreiklang in Dur oder Moll bildete. Dieses tonale Zentrum wurde jedoch zunehmend verschleiert durch einen chromatisierten (durch Halbton-Schritte „verfärbten“) Tonsatz. Nach der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert sollte mit dem Herkömmlichen radikal gebrochen werden – melodisch, harmonisch und rhythmisch. Genaueres dazu werden die nächsten Folgen vorstellen.

 

 

[2] Verlorene Harmonie

 

Noch ehe der Wiener Komponist Arnold Schönberg (1874-1951) die Klangwelten revolutionierte, scharte er einen Schülerkreis um sich. Der französische Komponist Pierre Boulez nannte Schönberg später spöttisch den „Gott-Vater der Neuen Musik“. Seinen gewandten und gebildeten Schüler Alban Berg, den späteren Komponisten der Opern „Wozzeck“ und „Lulu“, nannte er den „Gott-Sohn der Neuen Musik“. Der „Heilige Geist der Neuen Musik“ war Anton Webern, der Komponist meist äußerst kurzer und extremer Stücke, der sprödeste und problematischste Charakter dieser „Dreifaltigkeit“. So wurde 1904 musikgeschichtlich zum Jahr der Gründung der „Zweiten Wiener Schule“ (nach der ersten Schule mit Haydn, Mozart und Beethoven).

 

In diesen Jahren wurde Schönbergs Musik zunehmend dissonant, hochexpressiv im Ausdruck, knapp und abrupt in ihren Gesten. Es waren tönende Schockzustände, durch die – parallel zu den Therapien eines Sigmund Freud – die Musik zum authentischen Ausdruck des modernen Menschen wurde. Mit seiner Kammersinfonie op. 9 für fünfzehn Soloinstrumente überschritt Schönberg die Schwelle zur Moderne. Bei der Aufführung 1907 fühlten sich die spätromantischen Wiener provoziert.

 

Die zunehmend in Wien verspürte Feindseligkeit trieb Schönberg schließlich ins ferne Berlin. Doch nach sechs Jahren wollte er es noch einmal mit seiner Geburtsstadt versuchen. Das Konzert vom 31. März 1913 mit Werken von Webern, Zemlinsky, Berg und Schönberg endete freilich mit einem frühzeitigen Abbruch. Der Tumult wurde so groß, dass die Polizei den Konzertsaal gewaltsam räumen musste. Die Menschen empfanden diese Klänge 1913 als körperlichen Schock, als Infragestellen ihres gesamten musikalischen Wertegebäudes, als pure Provokation.

 

Der Erste Weltkrieg stieß die Donaumonarchie in den Abgrund und brachte die Demokraten an die Macht. Aber das Unverständnis für seine Musik lastete weiter auf Schönberg, der noch 1929 bei einer Radiodiskussion bekannte: „Wem unser Herrgott die Bestimmung gegeben hat, Unpopuläres zu sagen, dem hat er die Fähigkeit verliehen, sich damit abzufinden, dass es immer die anderen sind, die verstanden werden.“

 

Als späte Reaktion auf das Wiener Skandalkonzert gründete Schönberg 1918 in Wien den „Verein für musikalische Privataufführungen“ – ein pädagogisches Projekt mit regelmäßigen Konzerten, das die Neue Musik aus der ungeschützten Öffentlichkeit ins Reservat holte. Der Verein, ein Refugium für die Avantgarde, bestand nur jedoch drei Jahre.

 

1921 war Schönberg am Ziel seines musikalischen Suchens angelangt. Er hatte sein Schema gefunden, ein Verfahren der „Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“, die sogeanannte Zwölftonmusik. Schon 1922 experimentierte auch Anton Webern erstmals mit Zwölftonreihen nach diesem Schema, in der Knappheit und Prägnanz noch drastischer als sein Lehrer.

 

 

 

[3] Entfesselter Rhythmus

 

Dank eines langen Lebens konnte der Russe Igor Strawinsky (1882-1971) mit seiner Musik ein breites Spektrum verschiedener Stile bieten. Die erste von drei großen Phasen war geprägt vom rhythmisch-impulsiven Geschehen der Musik, das sich am besten im Ballett ausdrückte, angeregt durch den Ballett-Impresario Sergej Diaghilew. Mit dem „Feuervogel“ schuf Strawinsky ein schillerndes Märchen, mit „Petruschka“ ein groteskes Puppenspiel. Doch dann kam „Le sacre du printemps“ (Frühlingsopfer) – ein Stück, das auf alte slawische Gottheiten und Bräuche zurückgriff. Das war nicht mehr ein Handlungsballett im klassischen Sinn, sondern eine Folge von Massenbildern und Aktionen, die nach einer neuen Tanzsprache verlangten. Diesen „Bildern aus dem heidnischen Russland“ – so der Untertitel – fehlte jede klassische Grazie.

 

So wurde die Pariser Uraufführung im Mai 1913 zu einem der größten Skandale in der Musikgeschichte. Skandalös war vor allem die Primitivität des musikalischen Materials, das Strawinsky mit höchstem Raffinement aufsplitterte, aneinanderklebte oder endlos wiederholte. Ein Kritiker schrieb damals: „Hier ist nichts als der erbarmungswürdige Kampf des Wachsens, das panische Entsetzen vor den aufsteigenden Säften, ein Frühling mit all seiner Heftigkeit, seinen Zuckungen und Rissen. Es ist, als beobachteten wir ein Drama unter dem Mikroskop.“ Auch der bald losbrechende Weltkrieg wurde, zumal von der Jugend, als Frühling der Völker und Winteraustreibung der alten Regimes betrachtet. Am Ende aber starben solche Hoffnungen auf den Schlachtfeldern in Flandern und Russland.

 

Ungeachtet des baldigen Siegeszuges des „Sacre“ begann um 1920 die zweite Stilphase in Strawinskys Schaffen. Mit „Pulcinella“ bekundete er sein Interesse für die historisierende Arbeitsweise, „Neoklassizismus“ genannt. Kennzeichen dieses Stils ist der verfremdende Rückgriff auf traditionelle musikalische Formen – beim Publikum beliebt, von der Kritik aber angefeindet als Verrat an der Avantgarde. Damit wurde Strawinsky zum Antipoden des Zwölftöners Arnold Schönberg.

 

Dessen Tod 1951 leitete Strawinskys dritte Stilphase ein. Zum Erstaunen der Musikwelt schrieb der nunmehr Siebzigjährige in der Zwölftontechnik. Diese eignete er sich seinem berühmten schöpferischen Appetit auf sehr ernsthafte, aber undogmatische Weise an. Populär sind diese Werke jedoch bis heute nicht geworden.

 

Strawinskys Kunst war im Wesentlichen zeitlos: „Komponieren bedeutet für mich eine gewisse Zahl von Tönen nach gewissen Intervallbeziehungen in eine Ordnung zu bringen.“ Musik als Gefühlsausdruck oder Schilderung von etwas Außermusikalischem zählte nicht. Wenn seine Musik überhaupt etwas abbildete, dann am ehesten die körperlichen Bewegungen dieses schmalen und kleinwüchsigen Mannes.

 

  

 

[4] Verfremdete Volksmusik

 

Unabhängig von Arnold Schönberg und Igor Strawinsky (vgl. vorige Folgen) entwickelte der Ungar Béla Bartók (1881-1945) seinen eigenen Beitrag zur Musik der Moderne. Er befreite Melodie, Harmonie und Rhythmus zu neuen Möglichkeiten, aus denen Komponisten bis heute schöpfen. Wie kein anderer vor ihm entdeckte Bartók die Volksmusik als erneuernde Kraft und stilbildendes Element für sein eigenes kompositorisches Schaffen.

 

Auf Expeditionen in Ungarn, Siebenbürgen und der Slowakei zeichnete er Hunderte von Volksliedern auf. Später unternahm er noch Forschungsreisen in Nordafrika und in der Türkei. Was er von dort mitbrachte, wertete er nicht nur als gewissenhafter Musikethnologe aus. In seinen eigenen Werken ließ er die Musiktradition in neuen Zusammenhängen lebendig werden.

 

„Das Studium all dieser Bauernmusik war deshalb von entscheidender Bedeutung für mich, weil sie mich auf die Möglichkeit einer vollständigen Emanzipation von der Alleinherrschaft des bisherigen Dur/Moll-Systems brachten und als letzte Konsequenz zur vollkommen freien Verfügung über jeden einzelnen Ton unseres chromatischen Zwölftonsystems.“ (B. Bartók)

 

Das erste Werk, das Bartók vollkommen in seiner neuen musikalischen Muttersprache formulierte, war das „Allegro barbaro“ (1911), ein Klavierstück – zweieinhalb Minuten in der Einspielung des Komponisten, die es in sich hatten. Mit diesem Skandalstück machte Bartók sich gründlich unbeliebt. Die elementare rhythmische Energie, die seine Musik heute im Konzertsaal so erfolgreich macht, hatte die Hörer damals überrumpelt.

 

Bartók wurde nicht nur als Schöpfer neuer musikalischer Formen abgelehnt. Schwer zu schaffen machten ihm auch seine stets kompromisslos vertretenen persönlichen und politischen Überzeugungen. So geriet im Jahr 1926 die Kölner Uraufführung seines Balletts „Der wunderbare Mandarin“ zu einem weiteren Skandal der Musikgeschichte. Im Kölner Opernhaus tobten Tumulte, weil der Komponist eine Dirne, die von drei Zuhältern ausgebeutet wird, zur Hauptfigur seines Stücks machte. Daneben tritt der Mandarin auf, ein Fremder und Barbar, der zu ganz großer Leidenschaft fähig ist, die sogar den Tod überwindet. Schockierend war vor allem, dass die Verherrlichung der Natur und die Liebe Personen zugesprochen wurde, welche die bürgerliche Gesellschaft abgewertet hatte. Der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer untersagte weitere Aufführungen. Die Presse überschlug sich in Schmähungen.

 

Bis zuletzt zentral blieb für Bartók die Beschäftigung mit der Volksmusik, nicht nur im Hinblick auf das musikalische Material: „Meine eigene Idee aber ist die Verbrüderung der Völker, eine Verbrüderung trotz allem Krieg und Hader. Dieser Idee versuche ich, soweit es meine Kräfte gestatten, in meiner Musik zu dienen.“

 

 

 

 

[5] Gebrauchsmusik

Im frühen 20. Jahrhundert vollzog sich eine deutliche Abkehr von den Spätromantik-Komponisten wie Richard Wagner und Gustav Mahler. Ganz bewusst geschah das im elitären Schönberg-Kreis. Demgegenüber suchten andere Komponisten einen Stil, der besonders auf Amateurmusiker und Laienpublikum abgestimmt sowie gesellschaftlich ausgerichtet war. Die Vertreter solcher „Gebrauchsmusik“ fanden zu einer neuen musikalische Klarheit und Zugänglichkeit. Vor allem drei Namen sind hier zu nennen: Weill, Hindemith und Orff.

 

Der gebürtige Jude Kurt Weill (1900-50) nahm leidenschaftlich teil an den politischen Wirren nach dem Ersten Weltkrieg. Das neue Medium Rundfunk weckte in ihm die Hoffnung, durch das Radio könne der elitäre Konzertbetrieb aufgehoben und gleichzeitig eine Vereinfachung der neuen Musik erzielt werden. Seine musikalische Fantasie erhielt einen wichtigen Impuls von Bertolt Brecht und dessen Idee des epischen Theaters. Die „Dreigroschenoper“ (1928) katapultierte beide auf den Gipfel des Ruhms. Von den Nazis geschmäht, sah Weill sich 1933 zur Emigration in die USA genötigt. Auf andere Weise verfolgte er dort sein Hauptziel, den Gegensatz von elitärer Kunst und unterhaltender Musik zu überwinden.

 

Paul Hindemith (1895-1963) begann seine musikalische Karriere mit Experimenten in allen möglichen Bereichen. Nach Jahren voll von rastlosem Aktionismus fand er neuen Halt in der Tradition, in Begriffen wie „Handwerk“ und „Ehrlichkeit“. Seine Werke wurden formal geschlossener, ihr Klang versöhnlicher und verbindlicher, zuweilen auch akademischer. Er entwarf „überhistorisches“ Tonsystem, das Komponisten und Hörern wieder eine gemeinsame Grundlage bieten sollte. Von der Avantgarde wollte Hindemith nichts mehr wissen. Trotz der häufigen Aufführung seiner Werke musste er schließlich erleben, dass er von der Geschichte, die er bewahren wollte, allmählich überholt wurde.

 

Carl Orff (1895-1982) fand seinen musikalisch eigenständigen Weg zum einen durch die Beschäftigung mit außereuropäischen Instrumenten, fasziniert von einem geschenkten Marimbafon (afrikanisches Stabspiel). Daraus erwuchs das „Orff Schulwerk“, eine elementare Musiklehre für Kinder. Es besteht aus einfachen Ensemblestücken mit kleinen, ständig wiederholten Bausteinen, aus Spielliedern oder Kinderreimen. Zum andern widmete sich Orff, angeregt von Claudio Monteverdi, dem Musiktheater. Sein Ideal war die griechisch-antike musiké, die Vereinigung von Schauspiel, Tanz, Sprache und Theater, bei der Musik nicht als Kunst, sondern als Teil des Kultes erscheint. Die populären „Carmina burana“ (1937) sind von einem antriebsfördernden Rhythmus geprägt und von einer Melodik, die in ihrem Rückgriff auf frühere Epochen an ein kollektives Gedächtnis, etwa Kirchenmusik, anknüpft.

 

 

 

  

[6] „Neue Musik“ – Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg

 

Das Kriegsende 1945 rief allenthalben nach einem Neuanfang, so auch im Bereich der Kunstmusik. Ganz von vorn anfangen ließ sich etwa mit „reiner“, abstrakter Musik, wie sie sich in der Zwölftontechnik anbot. Olivier Messiaen, seit 1947 Kompositionslehrer am Pariser Konservatorium, fügte in einer Klavieretüde („Mode de valeurs et d’intensités“ – Tondauer und -intensität) erstmals nicht nur die Tonhöhe, sondern auch Dauern, Anschlagsart und -stärke in eine vorgefertigte Ordnung. Für seine Schüler Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen war das ein Signal zur totalen Systematisierung des musikalischen Materials. Der sogenannte „Serialismus“ („Reihen“-Technik) war geboren. Messiaen selbst wollte solchen Abstraktionen bald nicht mehr folgen; er entdeckte den Gesang der Vögel und ließ sich dann davon inspirieren.

 

In Abgrenzung zur abstrakten Musik kam von Frankreich her die „musique concrète“ auf, die durch Einbeziehung von „konkreten“ Klängen wie Natur- und Alltagsgeräuschen für die Musik neues Material entdeckte. Es wurde mit Hilfe des Tonbands zu Klangcollagen zusammengesetzt.

 

1951 richtete der WDR in Köln das erste Studio für elektronische Musik ein. Jetzt konnten Klangfarben, losgelöst von Melodien oder Akkordfolgen, völlig autonom gestaltet werden. Dank der neuen akustischen Geräte war es möglich, den Klang von seinen Kernbestandteilen her, seinen Schwingungen zu verstehen und zusammenzusetzen.

 

Gegenüber solch durchorganisierter Musik versuchte der Amerikaner John Cage Elemente des Zufalls in die Werke einzubauen, „Aleatorik“ („Würfel“-Technik) genannt. War Cages Musik anfangs noch genau notiert, so überließ er in der Folgezeit die Ausarbeitung und Zusammensetzung der Einzelstimmen den Interpreten. Er wollte die Musiker aus ihrer dienenden Rolle befreien, die Herrschaft des Komponisten ebenso abschaffen wie die Autorität des Dirigenten.

 

Modelle offener Form bestimmten einen großen Teil der musikalischen Produktion der 60er Jahre, von Konzeptstücken bis zum instrumentalen Theater oder grafisch notierten Partituren. In den 70er Jahren begann eine neue Generation an das Erbe der Großväter anzuknüpfen, was als „Neue Einfachheit“ bezeichnet wurde. Die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft ließ den Komponisten sich wieder stärker auf sein Selbst besinnen. Das Bekenntnis zum Subjektiven und Ästhetischen galt nicht länger als Verrat am musikalischen Fortschritt, sondern als inneres Bedürfnis.

 

Heute stehen viele Ansätze des Komponierens gleichberechtigt nebeneinander. Die zunehmende Globalisierung hat dazu beigetragen, dass es keine einheitliche Tonsprache mehr gibt, wie auch keine Leitlinien für richtiges und falsches Komponieren. Zugleich wird in der sogenannten „Weltmusik“ der Versuch unternommen, zwischen Kulturen und Musiksphären zu vermitteln.

 

 

 

 

 

[7] „Neue Musik“ – Kirchliche Reaktionen auf säkulare Entwicklungen

 

Im 19. Jahrhunderts hatten die Kirchen auf verschiedenen Gebieten ihre Führungsrolle eingebüßt, so auch in der Musikentwicklung des Westens. Daraus ergab sich eine Trennung zwischen liturgiegebundener und geistlicher Musik. Letztere konnte – unabhängig vom Gottesdienst – in den Konzertsälen gedeihen. Bezeichnend für die Trennung zwischen Konzertsaal und Kirche waren völlig verschiedene Musikstile. Während Komponisten säkularer Musik in neue Dimensionen von Rhythmus, Harmonie und Form vorstießen, wandten sich die Kirchen der Musik ihrer Vergangenheit zu. Doch mit einiger Verzögerung beeinflusste die Dynamik künstlerischer Entwicklung auch die Kirchenmusik.

 

Wiederbelebung alter Musik: Statt für neue Klänge oder Musikformen einzutreten, sprachen sich viele Kirchen für eine Rückkehr zu überkommener Musik aus. Diese musikalische Neubelebung stand in Beziehung zum Wiederaufblühen der verschiedenen Neo-Baustile (Romanik, Gotik). So suchte die römisch-katholische Kirche vor allem den Gregorianischen Choral in ihrem Gottesdienst zu erneuern. Papst Pius X. (1903-14) empfahl für die Gesamtkirche den Vorrang des Chorals, rief die Gemeinde aber auch zur tätigen Teilnahme auf. Die Erneuerung des Gemeindegesangs – bei bleibendem Verbot der Volkssprache – sollte bedeuten, dass die Gemeinde etwas singt, das für Spezialisten gedacht ist. Vielerorts war das nur möglich, wenn die Orgel den Choral begleitete, was die musikalische Qualität nicht unbedingt förderte.

 

Neue Klänge: Eine Reihe hervorragender westlicher Komponisten (Leos Janácek, Ralph Vaughan Williams, Igor Strawinsky, Zoltán Kodály, Benjamin Britten) widmete sich auch der Vertonung liturgischer Texte, insbesondere des Messordinariums (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei). Im Geist der „Gebrauchsmusik“ wurden solche Kompositionen für die liturgische Verwendung innerhalb einer vorgegebenen Tradition geschrieben. Sie dienten auch dazu, gewisse musikalische Fortschritte in die Kirchenmusik einzubringen. Indes boten sie lediglich eine erneuerte künstlerische Perspektive, ohne erneuerte liturgische Sichtweise, welche die Gemeinde ins Zentrum des Betens stellte.

 

Die gottesdienstliche Musik wurde also weniger von großen Komponisten umgestaltet. Vielmehr war es die Liturgische Bewegung, die dem Volksgesang neue Geltung verschaffte. Das führte jedoch vielfach zum Konflikt zwischen notwendiger Vereinfachung und künstlerischem Anspruch. Während avantgardistische Chor- und Instrumentalmusik weitgehend außerhalb der Liturgie erklang, konnte doch die Orgelmusik – improvisiert oder komponiert – zeitgenössische Klänge in den Gottesdienst einbringen.

 

Für geistliche wie auch liturgische Musik sollen in den kommenden Wochen an dieser Stelle einige Beispiele vorgestellt werden.

 

 

 

 

[8] Max Reger (1873-1916): Choralfantasie „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ op. 52/2 (1900)

 

Max Reger verkörpert den Komponisten an der Schwelle vom Alten zum Neuen. Einerseits fühlte er sich stets den alten Meistern verpflichtet, besonders Johann Sebastian Bach. Andererseits reicherte er die Harmonik mit äußerster Chromatik („Verfärbung“ durch Halbtonschritte) und gewagten Modulationen an, ohne jedoch die Grundfesten des tonalen Zentrums zu verlassen.

 

1873 in Brand (Oberpfalz) geboren, erhielt Reger ersten Musikunterricht im nahen Weiden. Weitere Stationen seines musikalischen Lebensweges waren Wiesbaden, München, Leipzig und Meiningen (Erfurt). Seine exzessive Arbeitsweise mit übermäßigem Alkoholkonsum führte 1916 zu seinem frühzeitigen Tod. Regers umfangreiches Werk umfasst praktisch alle Gattungen außer der Oper. Heute gilt die besondere Aufmerksamkeit seinem Orgelschaffen. Neben freien Orgelwerken klassischer Formen (Präludium, Fuge) komponierte er auch in liedgebundenen Formen. Als Katholik kam er durch seine protestantische Ehefrau zum evangelischen Kirchenlied (Choral). So entstanden um 1900 sieben große Choralfantasien.

 

Die Fantasie über „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ beginnt mit einer Art angewandter Psychologie: Man erwartet in irgendeiner Form etwas von der bekannten Liedmelodie zu hören, doch minutenlang brüten zunächst schwere, dumpfe Akkorde neben- und übereinander – einem Friedhof gleich, der in Todesruhe daliegt, in Erwartung des Jüngsten Tages. In diese Ruhe fahren plötzlich gleich Blitzstrahlen zweimal Läufe und Akkorde hinein – eine Vorahnung des Kommenden. Endlich ertönt – zart wie eine ferne Engelsstimme – die Melodie. Das bald hartnäckig auftretende „Rücken“ im Pedal verweist auf das langsame Sich-Bewegen der Toten in den Gräbern. Ganz verhalten wird die Melodie bei „Mitternacht heißt diese Stunde“ geführt. Immer stärker leuchtet sie ab „Wohlauf, der Bräut’gam kömmt“.

 

In der zweiten Strophe ziehen Tempo und melodische Ausschmückung spürbar an: „Zion hört die Wächter singen ...“. Erstmals erscheint dann die Liedmelodie im Pedal zu bewegten auf- und absteigenden Figuren: „Ihr Freund kommt vom Himmel prächtig“. Das weiter ansteigende Dynamik bricht abrupt ab, um einem ausdrucksvollen Adagio mit einer geradezu mystisch begleiteten Solostimme Platz zu machen, ganz auf die Verklärung des Sakraments ausgerichtet: „... und feiern mit das Abendmahl“.

 

Vor der Behandlung der dritten Strophe steht eine Fuge. Das Thema kehrt den aufsteigenden gebrochenen Dreiklang des Liedanfangs um. Dann tritt zum Fugenthema die Melodie mit „Gloria sei dir gesungen“ hinzu, erst im Pedal, dann in der linken Hand. Die letzten Zeilen erscheinen im Sopran, immer gekoppelt mit Themenköpfen oder -andeutungen. Erst beim „Halleluja für und für“ lässt die Bewegung nach, und das große Werk klingt in breiten, vollen Akkorden aus.

 

 

 

 

[9] Leos Janácek (1854-1928): Messe in Es-Dur (1907/08)

 

Schon früh prägten sich die Charakterzüge des tschechischen Komponisten Leos Janácek aus: Starrsinn, Durchsetzungswille und unbändiger Ehrgeiz. Als Grübler und Einzelgänger beschreiben Zeitgenossen den kleinen, früh ergrauten Komponisten. Die Konventionen der herkömmlichen Tonsprache hinterfragte er und schrieb seine neue eigenwillige Harmonielehre. Die schwülstigen Klänge des spätromantischen Orchesters waren ihm ein Graus. Janácek sucht neue Formen, Farben und Klänge. Sein besonderes Ohren-Merk galt dabei der akustischen Umwelt: Naturgeräusche, Straßenlärm, Gesprächsfetzen. Alles, was ihm interessant erschien, schrieb er in Notenform auf, in kompliziertesten Rhythmen und Tonhöhen. Die zweite wichtige Quelle seiner unverwechselbaren Tonsprache waren Janácek mährische Melodien.

 

Berühmtheit erlangte er erst mit über 60 Jahren, als die Oper Jenufa in Prag und Wien ein Riesenerfolg wurde. Die Kirchenmusik nimmt nur einen kleineren Teil in seinem Schaffen ein. Wie musikalisch so vertrat er auch religiös eine eigenwillige Position. Er zeigte sich zunehmend abgeneigt gegenüber geregelter Liturgie. Als zaudernder und skeptischer Katholik lehnte er den introvertiert frömmelnden Kult der Christen ab: „Eine Kirche ist verdichteter Tod. Gräber unter dem Fußboden, Knochen unter dem Altar, Bilder voll von Marter und Sterben. Rituale, Gebete, Gesänge – Tod und nichts als Tod. Ich will nichts damit zu tun haben.“ Seine religiösen Vorstellungen wurzelten in einem pantheistischen Erleben der Natur. Die Frage nach Gott ließ ihn nicht los, weshalb er immer wieder geistlicher Chorwerke schrieb.

 

Außer einigen Motetten wie „Vaterunser“ (Otcenas) und „Ave Maria“ hat Janácek auch zwei Messordinarien vertont. Knapp 20 Jahre vor der berühmten „Glagolitischen (altslawischen) Messe“ (1926) komponierte eine kleinere unvollendete Messe in Es-Dur für gemischten Chor und Orgel, die der späteren großen Messe sogar überwiegend als Vorlage diente.

 

Von der Es-Dur-Messe liegen nur das Kyrie, Teile des Credo und das Agnus Dei vor. Wortvertonung-Klischees sind bewusst vermieden. Das „Et resurrexit“ im Credo verzichtet auf die üblichen aufsteigenden Dreiklangsfiguren; statt dessen ist – mit zartem Strich – eine absteigende Vier-Ton-Folge zu hören, die auf immer höherer Tonstufe ansetzt, womit in 13 Takten stufenweise ein Anstieg um eine volle Oktave erreicht wird. Auch das „Crucifixus“ weicht vom Konventionellen ab: statt in verminderten Intervallen wird der Text auf einer einzigen Tonstufe intoniert. Die einzelnen Messe-Sätze wirken in ihrer Struktur so gedrängt, dass sie eher Rohentwürfen gleichen; dennoch erklingen sie in einer ausdrucksstarken individuellen Tonsprache und vermitteln so einen überraschend neuen Zugang zu den altbekannten liturgischen Texten.

 

  

 

[10] Arnold Schönberg (1874-1951): „Die Jakobsleiter“ (Oratorium – 1917ff.)

 

Arnold Schönberg war schon früh von der Idee besessen, mittels eines Oratoriums darzulegen, „wie sich der Mensch von heute, der durch den Materialismus, Sozialismus, Anarchie durchgegangen ist [...], wie dieser moderne Mensch mit Gott streitet [...] und schließlich dazu gelangt, Gott zu finden und religiös zu werden. Beten zu lernen! [...] Und vor allem: die Sprachweise, die Denkweise, die Ausdrucksweise des Menschen von heute sollte es sein: die Probleme, die uns bedrängen, sollte es behandeln.“ (Brief an Richard Dehmel 13.12.1912)  Seit Januar 1915 beschäftigte sich Schönberg konkret mit dem Projekt „Die Jakobsleiter“. Er benutzte für seinen eigenen, extrem knapp formulierten Text verschiedene Quellen wie das Alte Testament, den Theosophen Emanuel von Swedenborg und den Schriftsteller Honoré de Balzac. Ursprünglich sollte der Text einen sinfonischen Satz grundieren: das Finale einer umfangreichen Bekenntnismusik, deren Konzeption deutlich von Ludwig van Beethovens neunter Sinfonie und Gustav Mahlers achter Sinfonie geprägt war. Doch im Sommer 1917 entschloss sich Schönberg, mit seiner Dichtung ein eigenständiges Oratorium zu schaffen. Wegen einiger Zwangspausen geriet die Arbeit aber bald ins Stocken, so dass das Werk letztlich unvollendet blieb. Erst nach Schönbergs Tod 1951 machte sein Schüler Winfried Zillig aus dem Fragment eine praktikable Partitur.

 

Die Hauptfigur in dieser Himmelfahrtsvision ist der Erzengel Gabriel. Er lenkt das Geschehen; er sagt den Menschen, was sie zu tun und zu erwarten haben; er stuft sie ein. Ihm steht ein Querschnitt von Menschenkindern gegenüber: die Unzufriedenen, die Zweifelnden, die Jubelnden, dann die Gleichgültigen und Sanftergebenen; sie differenzieren sich als Gruppen aus dem Anfangsteil des großen Eingangschores heraus – eine Klassifikation nach Geisteshaltungen. Gabriel ruft diejenigen herbei, die „glauben, durch Taten [Gott] näher gekommen zu sein“: den Berufenen, den Aufrührerischen, den Ringenden, den Auserwählten, den Mönch, den Sterbenden. Sie haben historische Vorbilder. Für die Vorstellung vom Himmel fand der Komponist eine geniale musikalische Entsprechung: Um die himmlische Aufhebung der Unten-und-Oben-Hierarchie in den Klangraum zu überführen, um akustisch zu verdeutlichen, wie im Reich der Engel die Einzelheiten zwar für sich bestehen, sie aber dennoch eins sind, bediente sich Schönberg einer Sechstonreihe, die vielfach variiert, linear wie auch vertikal entfaltet das ganze Werk durchziehen sollte. Bereits hier ließ der Komponist seine später entwickelte Zwölftontechnik vorausahnen.


In der „Jakobsleiter“ zeichnet sich die für Schönberg spezifische Verbindung von Rationalität und Mystik, von scharfer Analyse und prophetischer Vision ab.

 

 

 

 

 [11] Arthur Honegger (1892-1955): „König David“ (Sinfonischer Psalm – 1921)

 

Artur Honegger, der abwechselnd in Frankreich und der Schweiz lebte, zählt zu den wenigen modernen Komponisten des 20. Jahrhunderts, dem der Spagat zwischen Popularität und großer Kunst gelang, der in die Breite wirkte, ohne in seinen künstlerischen Mitteln an Tiefe zu verlieren.

 

Nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs waren die Künstler bestrebt, sich auf alte Traditionen und Formen zurückzubesinnen, auf Einfachheit und Klarheit des Ausdrucks, unter Verzicht auf subjektiv überhöhte, romantische Gefühlsmomente. In diesem Sinne formierte sich in Paris um 1920 die „Groupe de six“, eine Gruppierung von sechs jungen Komponisten. Honegger hatte sich ihnen neben den Musikern Eric Satie, Darius Milhaud, Georges Auric, Germaine Tailleferre und Francis Poulenc angeschlossen. Zusammen mit dem Dichter Jean Cocteau bevorzugten sie gegenüber den raffinierten Klanggebilden des musikalischen Impressionismus, dem schweren Pathos der Wagnerschen Gesamtkunstwerke eine lichte und leichte Ästhetik. Dieser Einfachheit kam dabei die maßvoll klare Ordnung Bachs und Rameaus ebenso entgegen wie Popularmusik, Jazz oder die unendliche Melodie des Großstadtverkehrs.

 

Honeggers erster großer Erfolg als Komponist stellte sich mit der Uraufführung des dramatischen Psalms „Le Roi David“ (König David) ein. Im Juni 1921 am Théatre du Jorat (zu Mézières am Genfer See) als Schauspiel aufgeführt, wurde das Werk dann zu einem Oratorium umgestaltet – angeregt vom Schweizer Textdichter Renè Morax. Hinzugefügt wurde die Rolle eines Sprechers, dessen Texte die einzelnen Stücke verbanden und den Ablauf der das Leben des biblischen Königs David schildernden Handlung erklärten.

 

Das Stück erzählt dieses Leben in drei Teilen: Davids jugendliche Heldentaten und seinen Aufstieg, den Höhepunkt seines Lebens im Siegesfest mit dem Tanz vor der Bundeslade und – kontrastierend dazu – im letzten Teil Schuld und Irrtum seines Alters und seinen vom Aufstieg des Sohns und Nachfolgers Salomon beleuchteten Tod. Es besteht aus 27 meist kurzen Nummern von illustrativem Charakter. Dem Part Davids, drei Solostimmen in verschiedenen Tonlagen zugeteilt, liegen Gesänge mit frei umgearbeiteten Psalmentexten zugrunde. Die Anschaulichkeit der musikalischen Schilderung durch Hirtenschalmeien, kriegerische Trompeten, Märsche, Hymnen und Tänze ergibt ein tönendes Gemälde von leuchtender Farbenpracht. Von dramatischer Intensität durchpulst, erneuerte der sinfonische Psalm König David auch die lange Tradition des Melodrams (ursprünglich Sprechdrama mit musikalischer Begleitung). Deutlich wird das zum Beispiel im dritten Teil, wenn die von Davids Feind Saul in seiner Not angerufene Hexe die Toten beschwört. Die Beliebtheit des „König David“ hält – zumindest im französischen Sprachraum – bis heute an.

       

 

 

 

[12] Kurt Weill (1900-50): Berliner Requiem (Kantate – 1928)

 

Gleich nach dem Erfolg mit der sozialkritischen „Dreigroschenoper“ (1928) komponierte Kurt Weill das „Berliner Requiem“, ebenfalls nach Texten von Bertolt Brecht. Anlässlich des zehnten Jahrestages des Weltkriegsendes hatte der Frankfurter Sender die Requiem-Komposition in Auftrag gegeben. Indem Weill Texte vom Tod vertonte, versuchte er auszudrücken, was der großstädtische Mensch über den Tod empfindet. So entstand eine Art „Montage in Form von Gedenktafeln, Grabinschriften und Totenliedern, die den Gefühlen und Anschauungen breitester Bevölkerungsschichten entspricht“. Um die damals mangelhaften Mikrofone nicht zu überfordern, war die Zahl der Mitwirkenden eher klein gehalten: Tenor, Bariton, Männerchor, Blasorchester, Gitarre, Banjo, Schlagzeug. Der strenge und karge Stil entspricht dem geistlichen Grundgedanken des Werks.

 

Ein „Großer Dankchoral“ eröffnet die Kantate (Satz 1). Die Ökonomie der Mittel, die homophone Satzstruktur (nur eine führende Melodiestimme) und die grellen Bläserakkorde kennzeichnen den ernsten und zugleich sarkastischen Gesamtcharakter des Werks. Weill vertont sehr textbezogen und bezieht sich dabei auf alte Modelle (Chorstück von Bach). Auch wird der Umstand berücksichtigt, dass bei vielen Hörern der christliche Hintergrund zu geistlicher Musik schon nicht mehr geglaubt wird. Die „Ballade vom ertrunkenen Mädchen“ (Satz 2) wird lediglich von Gitarrenakkorden begleitet. Die homophone Satztechnik unterstreicht das Poetische und Tragische des Textes. Das Stück endet plötzlich mitten in einer Tenor-Koloratur, zu verstehen als eine Art weltlicher Segen für dieses von Gott vergessene „Aas in Flüssen mit vielem Aas“. 1928 war noch in Erinnerung, dass mit dem Mädchen Rosa Luxemburg gemeint war, deren Leiche vier Monate lang im Landwehr-Kanal gelegen hatte. „Marterl“ (Satz 3) ist in typisch Weillscher Manier gehalten: langsamer Tanzrhythmus, Melodie im Saxophon, gleichförmige Begleitung. Zwei „Berichte über den Unbekannten Soldaten unter dem Triumphbogen“ bilden den Hauptteil (Satz 4 und 5): zum einen sich kollektiv mit „wir“ bezeichnende Mörder, die ihn erschlugen, entstellten und unter einem Triumphbogen begruben; zum anderen ein „ich“, das klagt und die Entfernung des Triumphbogens verlangt. Der Erste Bericht ist mit seinem Wechsel zwischen homophonen Tutti-Abschnitten und melodischen Solopassagen des Saxophons voller ironischer Sentimentalität. Die rüde Sprache kommt durch scharf punktierte Rhythmen und ständig wiederholtes Bass-Thema voll zur Geltung. Demgegenüber hat der Zweite Bericht den Charakter eines liturgischen Rezitativs.

 

Es handelt sich um ein echtes Requiem, teils feierlich tragischen, teils ironischen Charakters; aber auch eine Musik, die als entschiedenes Bekenntnis gegen den Krieg wirkt.

 

 

 

 

[13] Igor Strawinsky (1882-1971): Psalmen-Symphonie (1930)

 

Der eine Schwerpunkt im musikalischen Schaffen von Igor Strawinsky lag im Ballett, der andere in der geistlichen Musik. Neben dem „Pater noster“ (1926), der Messe für Chor und Bläser (1944/47) und schließlich den „Requiem canticles“ (1965) ragt als sein kirchenmusikalisches Hauptwerk die „Sinfonie des psaumes“ (Psalmen-Symphonie) für vierstimmigen Chor und Orchester von 1930 heraus. Es war ein Auftragswerk zum 50-jährigen Jubiläum des Boston Symphony Orchestra.

 

Aus der symphonischen Tradition des 19. Jahrhunderts strebte Strawinsky eine Weiterentwicklung an, nicht zuletzt durch Einbeziehen von Chorgesang. Es entstand ein Werk, das den gesamten musikgeschichtlichen Raum vom Mittelalter bis zur Gegenwart in seinen Strukturen vergegenwärtigt. So findet man die drei Sätze der „Psalmen-Symphonie“ entsprechend drei Entwicklungsstufen der europäischen Kunstmusik gegliedert: einfache Mehrstimmigkeit des Frühmittelalters, komplexe Mehrstimmigkeit des Spätmittelalters, Symphonie der Neuzeit – alle sind zu einer Werkeinheit zusammengeschlossen.

 

Die drei Sätze des Werks beziehen sich jeweils auf ausgesuchte Verse dreier Psalmen, und zwar in der lateinischen Bibelübersetzung „Vulgata“. Im ersten Satz bittet der Psalmist mit den Schlussversen von Psalm 39 um göttlichen Trost: monotones Psalmodieren und erschütternd vielstimmige Hilferufe werden zur gedrängten dialogischen Bewegung. Im zweiten Satz wird Gott mit dem Beginn von Psalm 40 als Retter gefeiert, der dem Psalmisten aus dem Schlamm des Irdischen half, ihm festen Boden unter die Füße und ein neues Lied in den Mund gab. Der dritte Satz enthält die fast vollständige Vertonung der sechs Verse von Psalm 150. Dieser sogenannte Halleluja-Psalm beschließt die Sammlung der alttestamentlichen Psalmendichtungen. Der unendliche Lobpreis meint nun das Universum, den Weltenkosmos. Gläubige preisen Schöpfer von Himmel und Erde. Da spricht längst kein einzelner mehr, sondern die Gemeinde, ja die gläubige Menschheit. Waren Satz 1 und 2 an eine menschliche Situation gebunden, auf die die Form der Musik antwortete, so geht es in diesem universalen Psalm einzig um die verschiedenen Weisen Gott zu loben. Die Vertonung schreitet von Vers zu Vers voran und findet immer neue Arten, Stile und musikalische Vergegenwärtigungen des Lobpreises. Es erklingt kein heller, optimistischer Jubel, eher eine teils beklommene, teils auch vital überwältigende Lobesäußerung. Der Schluss wirkt geradezu mystisch verklärt.

 

Der gefeierte Künstler Strawinsky, in dessen Gemüt sich liturgiebezogene russische Kirchenmusik unverlierbar tief eingesenkt hatte, hat in der „Psalmen-Symphonie“ mit der Einbildungskraft des russischen Seelenreiches ein Werk komponiert, das jeden Hörer berühren wird, der für seinen Text und Ton offene Ohren hat.

 

 

 

 

[14] Flor Peeters (1903-86): Toccata, Fuge und Hymne über „Ave Maris Stella“ op. 28 (Orgel – 1931)

 

Geboren 1903 in Tielen (bei Antwerpen, Belgien), konnte Flor Peeters bereits als Achtjähriger gut Orgel spielen. 1919 begann er Orgel und Musiktheorie am Lemmensinstitut in Mecheln zu studieren. 1925 wurde er zum Titularorganisten an der katholischen St. Rombourtskathedrale in Mecheln ernannt, wo er bis zu seinem Lebensende 1986 blieb. Peeters war gefragt als Musikpädagoge mit Schwerpunkt Orgel, wie seine Professuren am Lemmensinstitut sowie an den Konservatorien in Gent, Tilburg und Antwerpen ausweisen. 1952/54 erschien seine dreibändige Orgelschule „Ars Organi“. Er gab über 2000 Orgelkonzerte und zeigte sich dabei als glänzender Improvisator.

 

Flor Peeters’ kompositorisches Schaffen umfasst Instrumentalmusik (Konzerte, Kammermusik, Klavierwerke) wie auch Vokalwerke (Te Deum, Oratorium, acht Messen, Motetten, Kantaten, etwa 100 Lieder). Die Kirchenmusik nimmt den weitaus größten Teil ein, vor allem Musik für die Orgel. Dieser Königin der Instrumente waren rund 450 Werke zugedacht. Ausgebildet in der Tradition des symphonischen Orgelspiels entwickelte Peeters eine stärker linear geprägte Satzweise, die am deutlichsten in seinen Sammlungen mit Choralbearbeitungen zum Ausdruck kommt. Seine stete Inspirationsquelle war der Gregorianische Choral. Dies erklärt seine Vorliebe für modale (kirchentonartliche) Harmonik. Außerdem ließ er sich von der alten frankoflämischen Polyphonie wie auch von flämischer Volksmusik anregen. Sein Werk steht im Spannungsfeld zwischen Funktion (liturgischer Zweckbestimmung) und Anspruch (künstlerischer Selbstverwirklichung). Innerhalb der katholischen Kirchenmusik gehört Peeters zu den bedeutenden Komponisten des 20. Jahrhunderts. Engen Kontakt pflegte er mit dem gleichaltrigen Kölner Organisten und Hochschullehrer Hermann Schröder, der stilistisch ähnlich komponierte.

 

Das Triptychon (dreiteiliges Kunstwerk) Toccata, Fuge und Hymne über „Ave Maris Stella“ von 1931 steht ganz in der Tradition der großen französischen Kathedralorganisten (z.B. Charles Tournemire) und zeigt vor allem deren Umgang mit der Gregorianik. In der formalen Anlage gehorcht die Toccata – ständig von einem motorischen Impuls durchzogen – dem Schema A-B-A’. Der Choral wird in langen Notenwerten im Pedal durchgeführt. Der langsamere B-Teil ist aufgrund der synkopierten (rhythmisch verschobenen) Begleitakkorde zur Melodie durch eine gewisse Unruhe gekennzeichnet. In der Fuge wird das Thema zunächst im 6/8-Rhythmus einer Gigue (schneller Tanz) verarbeitet. Im weiteren Verlauf wird die Fuge immer freier und improvisatorischer. Bruchlos schließt sich der Hymnus an, in dem das Thema in blockhaften Akkorden im Manual und schnellen Läufen im Pedal übereinander gelagert wird. Den Ausklang bildet eine virtuose Coda.

 

 

 

 

[15] Hugo Distler (1908-42): Choralpassion op. 7 (1932)

 

1908 in Nürnberg geboren, wurde Hugo Distler früh geprägt durch die gemeinschaftsbetonte Sing- und Spielpraxis der Jugendbewegung. Nach dem Kirchenmusikstudium in Leipzig fand er eine Anstellung an der evangelischen Jakobikirche in Lübeck. 1937 zum Hochschullehrer nach Stuttgart berufen (ab 1940 Berlin), trat er auch mit weltlichen Werken in Erscheinung. Ende 1942 setzte er seinem Leben ein Ende, erschöpft von Arbeitsüberlastung, Angst vor der drohenden Einberufung zur Wehrmacht und unter dem Druck der als unerträglich empfundenen politischen Zustände.

 

Der Neuen Musik wie der Zwölftontechnik des Schönberg-Kreises stand Distler fremd gegenüber. Sein Komponieren ist streng traditionsbewusst und genuin vokal. Sein Tonsatz lebt aus den vom Text her bestimmten Melodielinien innerhalb eines modalen (auf Kirchentönen bezogenen) Tonraums. Beredte Melodiebildung und feinnervige Rhythmik zeichnen seine Stücke aus.

 

Im Nachwort zur Ausgabe seiner „Choralpassion“ schreibt Distler 1932: „... Der Gedanke einer Darstellung der Passionsgeschichte in zeitgemäßer Gewandung, doch im Geist der alten durch [Heinrich] Schütz zu herrlicher Vollendung geführten A-cappella-Passion, die in der Verwendung der Mittel sich zugunsten einer volkhaften, allgemeinverständlichen, lapidaren, ebenso primitiven wie eindringlichen Sprache befleißigt: dieser Gedanke war es, der die Entstehung der vorliegenden A-cappella-Passion veranlaßte. Der dramatisch geladenen Darstellung des Passionsgeschehens in ihrer unerbittlichen Sachlichkeit und grausigen Kürze stellte ich als notwendig-ergänzenden Ausgleich den Choral gegenüber, und zwar – eben aus dem Bemühen heraus um möglichst intensive Formulierung des lyrisch-beschaulichen Elements – in der Form der Variation. Die in sieben Teilen dargestellte Historie wird umrahmt von den acht Chorvariationen über den Passionschoral: ’Jesu, deine Passion’ (...). Der erzählende Text ist aus allen vier Evangelien ausgewählt: Möglichst plastische, eindringliche Gestaltung bewog zu dieser Art der Darstellung.“

 

Die acht Verse des vorreformatorischen Passionslieds reflektieren die Leidensgeschichte mitunter sehr konkret in persönlich frommer Haltung und sind doch zugleich allgemeingültiger Gemeindegesang. In den einstimmigen, unbegleiteten Partien der Soliloquenten (Einzelsprecher) gelingt Distler eine Synthese aus Gregorianik und tonal freischwebender Melodik, die dem barocken Rezitativ an Verkündigungspathos gleichkommt und den mitschwingenden Traditionsraum bis ins Frühmittelalter ausweitet. Die rein vokale Fassung akzentuiert Momente wie Tempo, Dynamik, Pausenlängen und Textvortrag. Der achte Liedvers vermag die durchweg kargen Mittel der Tonsprache zu einem ergreifenden Finale zu verbinden, das das Motto des Chorals noch einmal zu unmittelbarem Klingen bringt.

 

 

 

 

[16] Olivier Messiaen (1908-92): La Nativité du Seigneur (Die Geburt des Herrn – Orgel – 1935)

 

Als die Pariser Kirche Sainte Trinité 1931 einen neuen Organisten bekam, war die Gemeinde anfangs misstrauisch gegenüber dem 23-jährigen Olivier Messiaen: er könnte ja mit seinen dissonanten Orgeltönen den Gottesdienst stören. Doch bald machten seine farbreichen, eigentümlich entrückten Improvisationen von sich reden und der Organist blieb bis zu seinem Lebensende. Die unbegrenzten Klangmöglichkeiten der Orgel schlugen sich auch in seinen Werken für Klavier, Chor und Orchester nieder. Sein ganzes Schaffen fühlte er dem Gotteslob verpflichtet, das über das Liturgisch-Funktionale weit hinausging.

 

1935 entstand der Orgel-Zyklus „La Nativité du Seigneur“ (Die Geburt des Herrn). Es dient hier als herausragendes Beispiel neben ähnlichen Orgelwerken: „L’Ascension“ (Christi Himmelfahrt); „Messe de la Pentecôte“ (Pfingstmesse); „Méditations sur le Mystère de la Sainte Trinité“ (Meditationen über das Geheimnis der Dreifaltigkeit); „Le Banquet Céleste“ (Das himmlische Mahl); „Apparition de l’Eglise Eternelle“ (Erscheinung der ewigen Kirche).

 

„La Nativité“ umfasst neun Meditationen über einzelne Aspekte der Geburt Jesu. Die Idee zur dieser Art von Entfaltung des Weihnachtsgeschehens entnahm Messiaen einer Schrift des belgischen Benediktinerabtes Dom Columba Marmion: „Christus in seinen Geheimnissen“. Jedem Satz ist ein Bibelwort vorangestellt. So vollzieht sich hier eine klingende Exegese.

 

Die Titel (in deutscher Übertragung) und ihre klanglichen Erscheinungsbilder sind folgende: 1. „Die Jungfrau und das Kind“ – intimes, stilles Zwiegespräch; 2. „Die Hirten“ – nach akkordischer Einleitung eine schalmeienartige Melodie; 3. „Ewige Ratschlüsse“ – in mystische Begleitung getauchte Einzelstimme; 4. „Das Wort“ – dynamisch, kontrastierende Meditation; 5. „Die Kinder Gottes“ – an- und abschwellender Klang, mit einem Aufschrei beim Gipfelpunkt „Vater, Vater“; 6. „Die Engel“ – optisch wie akustisch erregende Vision der himmlischen Heerscharen; 7. „Jesus nimmt das Leiden an“ – Vorahnung der Passion und seiner Annahme bis in den Tod; 8. „Die Weisen“ – Zug der Weisen unter dem ihnen fortwährend leuchtenden Stern von Bethlehem; 9. „Gott unter uns“ – nach dem Bibelwort „Das Wort ist Fleisch geworden und wohnte unter uns“: In Sonatenform angelegt, werden in diesem Satz zu Beginn drei Themen vorgestellt. Das erste (Haupt-)Thema symbolisiert in seinem majestätischen Charakter das Herabsteigen des Wortes und seine Fleischwerdung; das zweite die Liebe der ganzen Kirche zu Christus; das dritte – wie ein Vogelgesang – das Magnifikat. Nach einer zweistimmigen kontrapunktischen Verarbeitung des dritten und einer längeren Partie des zweiten Themas erscheint noch einmal kraftvoll das Hauptthema in seiner Umkehrung. Dies mündet ein in eine freudige Schluss-Toccata.

 

[17] Franz Schmidt (1874-1939): Das Buch mit sieben Siegeln (Oratorium – 1935-37)

 

Franz Schmidt wurde 1874 in Pressburg (Bratislava) geboren, einem Schnittpunkt deutscher, ungarischer und slowakischer Kultur. Vierzehnjährig kam er nach Wien und wurde Schüler unter anderem von Anton Bruckner. Er begann zu komponieren und spielte als Cellist beim Hofopernorchester. Am Konservatorium lehrte er dann Cello und später an der Musikakademie Kontrapunkt und Komposition. Als Komponist war Schmidt traditionsbewusst, jedoch nicht konservativ im engen Sinn. Er führte die Tonsprache von Brahms und Bruckner weiter, wobei er gerade noch im Rahmen der Tonalität blieb. Schmidt verkörpert so mit einer eigenständigen Tonsprache den Scheideweg zwischen Spätromantik und Moderne. Neben einer Fülle von Kompositionen (zwei Opern, vier Symphonien, Kammer- und Orgelmusik) gilt als sein Hauptwerk das Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“ – eine Vertonung der Offenbarung des Johannes (Apokalpse).

 

Der Absicht Komponisten zufolge, der auch die Texte zusammenstellte, versteht sich das Oratorium als künstlerische Nachbetrachtung der Blutbäder des Ersten Weltkriegs. Angesichts der Uraufführung im Juni 1938 mag man das Werk aber auch als Vision des kommenden Infernos des Zweiten Weltkriegs betrachten.

 

Wie in den Barockoratorien tritt ein Erzähler auf: Johannes, der von der „Stimme des Herrn“ berufen wird zu zeigen, „was nachher geschehen muß“. Er berichtet: „Und ich sah in der rechten Hand des, der auf dem Throne saß, ein Buch, beschrieben inwendig und auswendig und versiegelt mit sieben Siegeln.“ Das Lamm nimmt das Buch, um es zu öffnen. Ein großes Orgel-Zwischenspiel leitet über zum zweiten Teil, in dem sechs Siegel geöffnet und alle Schreckensbilder offenbar werden, die dem Ende der Zeiten vorausgehen. Mit ungeheurer Dramatik wird der Weltuntergang dargestellt. Der Öffnung des siebten Siegels im Himmel geht ein Orgelpräludium voran. Die höllischen Heerscharen werden von den himmlischen besiegt; die Gerichtsposaunen ertönen; eine Chorfuge stellt die Schrecken des Jüngsten Tages dar. Zu den Geläuterten spricht der Herr, er werde mit ihnen wohnen und sie werden seine Kinder sein. Zum Dank singt der Chor ein leidenschaftliches Halleluja, gefolgt von einer verhaltenen Danksagung des Männerchors. Am Ende erklärt der Erzähler: „Ich bin es, der all dies sah und hörte und der es euch nun offenbart“.

 

Schmidt brachte alle damals verfügbaren musikalischen Mittel zum Einsatz: ein vielseitiges Orchester, massive Chöre, virtuose Solisten. In gewaltigen Bildern wird das Ende der Menschheit beschworen mithilfe einer Musiksprache, die sämtliche Stilrichtungen zu umfassen scheint: Bachs Passionsmusiken klingen an, aber auch Haydns Oratorien und manches von Wagners Opern; dann wieder meint man den Gestus der großen Requiemvertonungen des 19. Jahrhunderts zu hören.

 

 

[18] Jehan Alain (1911-40): Litanies (Orgel – 1937)

Jehan Alain gehört trotz seiner nur 29 Lebensjahre zu den nachhaltigsten Erneuerern der französischen Orgelmusik im 20. Jahrhundert. Geboren 1911 in Saint-Germain-en-Laye, erhielt Alain ersten Musikunterricht bei seinem Orgel spielenden Vater. Mit sechzehn begann er seine musikalischen Studien am Pariser Konservatorium. Die streng akademische Ausbildung dort lag dem phantasiebegabten Alain allerdings wenig: „Ich habe, wenn ich dort hineingehe, immer den Eindruck, als befände ich mich in einem Treibhaus, wo die Pflanzen ... sehr schnell wachsen, aber manche Gefahr laufen einzugehen, wenn man sie in freie Erde verpflanzt.“

 

Der Frühvollendete besaß eine eminente Kompositionsbegabung. Bis zu seinem Tod 1940 als Soldat im Zweiten Weltkrieg brachte er es auf rund hundert Opuszahlen. Er stand bewusst auf dem Boden der Kontrapunktik, hing aber nicht den klassischen Formen der Orgelmusik an. Seine Kompositionen bezeugen den ungeheuren, explosionsartigen Aufbruch nach der spätromantischen Orgelmusik von Alexandre Guilmant und Charles-Marie Widor. Alains Kompositionen beziehen verschiedene Gattungen ein wie Präludium, Fantasie, Intermezzo, Monodie, Suite und Variation. Oft hat er einem Werk eine poetische Idee beigegeben. Neben Einflüssen literarischer Art zeigen sich solche der Gregorianik, der Alten Musik, des französischen Impressionismus (Claude Debussy), des Jazz, außereuropäischer Rhythmen und Tonsysteme.

 

Als Alains berühmtestes Orgelwerk gilt ein Stück von 1937 mit dem Titel „Litanies“ (Litaneien). Seiner Schwester, der Organistin Marie-Claire Alain, zufolge war das ursprüngliche Konzept dieses Stücks eine rhythmische Studie über die Fahrgeräusche der Vororteisenbahn, mit dem Arbeitstitel „Phantasmagories“. Unter dem Eindruck des plötzlichen Unfalltodes seiner Schwester Odile in den Bergen formte Alain dann diese Studie in das geistliche Stück um, das wir kennen – ein zeitgenössisches Beispiel für das Selbst-Parodie-Verfahren (Umgestaltung einer eigenen Komposition zu einem neuen eigenständigen Werk). Der Komponist hatte „Litanies“ auch ein Motto vorangestellt: „Wenn die christliche Seele in ihrer Verzweiflung keine neuen Worte mehr findet, um Gottes Barmherzigkeit anzuflehen, dann wiederholt sie unaufhörlich dieselbe Anrufung mit einem inbrünstigen Glauben. Die Vernunft erreicht ihre Grenze. Allein der Glaube strebt himmelwärts.“

 

Das Stück von knapp fünf Minuten Dauer stellt zu Beginn ein markantes Thema vor, das dann immer neu wiederkehrt. Durch die Steigerungen mit Akkordwechsel auf verschiedenen Manualen, durch das im Pedal beschleunigte Thema sowie durch die magische Klanglichkeit des Satzes wird eine förmliche Ekstase erzeugt, die mit einer Orgel bis dahin so noch nicht erreicht worden ist.

 

 [19] Zoltán Kodály (1882-1967): Missa brevis (1942-45)

„Im Volkslied habe ich die einzig mögliche Grundlage gesehen, eine selbständige ungarische Musikart zu bilden – nicht in dem Sinne, dass man die Volkslieder, so wie sie sind, bearbeiten und verbreiten soll, sondern aus ihrem Geist und aus ihrer Phraseologie eine höhere Musik entwickeln.“ So äußerte sich der achtzigjährige ungarische Komponist Zoltán Kodály im Rückblick auf sein Lebenswerk, das sich in drei Richtungen entfaltet hatte: Lehrtätigkeit an der Budapester Musikakademie, pädagogische Arbeit mit Kindern und Komposition.

 

1882 in Kecskemét, südlich von Budapest, geboren, wuchs Kodály in einem musikalischen Elternhaus auf. Bereits als Gymnasiast führte er eigene Kompositionen auf. An der Universität in Budapest studierte er Sprachwissenschaft und an der Musikakademie Komposition. Auf der Suche nach der ungarischen Identität entdeckte er die Musiktradition seines Landes. Zusammen mit seinem Freund Béla Bártok unternahm er seit 1905 Reisen in die Provinz und zeichnete die archaischen Lieder der Bauern auf. In den gegebenen Grenzen der Tonalität komponierte er eine neue, äußerst vitale Musik, die originell instrumentiert, sehr klangreich und doch expressiv konzipiert ist.

 

Als er 1967 in Budapest starb, hinterließ er vier Bühnenwerke, Orchester- und Kammermusik, zahllose A-cappella-Chöre und auch geistliche Musik. Hervorzuheben sind hier der „Psalmus Hungaricus“ (1923), das „Budavári Te Deum“ (1936) und die „Missa brevis“ (1942-45).

 

Diese Messe entstand – wie ihr Untertitel „In tempore belli“ (zu Kriegszeiten) andeutet – unter schwierigen Umständen. 1944 sah sich Kodály gezwungen, in einem Budapester Kloster Zuflucht zu nehmen, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen. Dort überarbeitete er seine Orgelmesse von 1942, indem er sie für sechs Solisten, Chor und Orgel arrangierte, später auch orchestrierte.

 

Den üblichen sechs Vokalsätzen der Messe ist ein instrumentaler Introitus vorangestellt; Stilistisch wie auch formal trägt die Missa weniger nationale Züge als Kodálys weltliche Kompositionen. Das Werk ist eher Franz Liszt als der Volksmusik verpflichtet. Den Lisztschen Stil verkörpert vor allem das eindrucksvolle antiphonale Wechselspiel zwischen drei Solo-Sopranen und dem Hauptchor im Kyrie und Agnus Dei.

 

Die Missa ist von einem groß angelegten Zusammenhalt auf verschiedenen Ebenen geprägt. Das tonale Zentrum ist D; zwei kurze Motive (D-Es-D und B-A-Gis-A) durchdringen die Themen und den Grundplan der einzelnen Sätze. Überdies wird das Werk von einem weiten Bogen überspannt: die Qui-tollis-Melodie des Gloria kehrt am Beginn des Agnus Dei wieder, und das gesamte Kyrie wird in einer variierten Form für das Dona nobis pacem verwendet. Dem Agnus Dei folgt noch ein abschließendes Ite missa est.

 

 

 

[20] Maurice Duruflé (1902–86): Requiem (1947)

 

Die französische Schule hat seit der großen Totenmesse von Hector Berlioz (1837) die verschiedensten Formen von Requiem-Kompositionen hervorgebracht. Doch lässt sich hier eine recht schematische Unterscheidung vornehmen zwischen den monumentalen und dramatischen, indessen nicht leidenschaftslosen Werken, die sich an die Öffentlichkeit wenden, und ihren Gegenstücken, deren vor allem nach innen gerichtete Haltung nicht notwendigerweise einem Glaubensbekenntnis entspringt: So erreichte Gabriel Fauré in seinem Requiem (1888) eine unübertreffliche Spiritualität, obwohl er seine Distanz zum katholischen Glauben einräumte. Das „Requiem“ von Maurice Duruflé ist in Textwahl und Tonsprache jenem von Fauré ähnlich.

 

1902 in Louviers geboren, lernte Duruflé das Orgelspiel bei Meistern wie Paul Dukas, Louis Vierne und Charles Arnaud Tournemire. 1930 wurde er Organist an Saint-Étienne-du-Mont und 1944 Professor am Pariser Konservatorium. Bis zu einem Verkehrsunfall 1975 bereiste er die ganze Welt als Konzertorganist. Sein strenger Stil besitzt einen Anflug impressionistischer Farbgebung, was seine Kompositionen sehr anziehend macht. Den Orgelstücken merkt man deutlich den Virtuosen und passionierten Organisten an.

 

Duruflé komponierte das „Requiem“ im Auftrag des Verlags Durand. Es greift auf eine Folge von Orgelparaphrasen über Texte der Totenmesse zurück. Dem Andenken seines Vaters gewidmet, ist es in seiner gesamten Tonsprache sehr persönlich gehalten. Weil auf die Sequenz „Dies irae, dies illa“ (Tag des Zornes, jener Tag), die den strengen Richter-Gott beschwört, verzichtet wird, ist auch kein Höllenfeuer zu hören, keine fieberhafte Erregung wie bei Berlioz. Vielmehr kennzeichnet große Zurückhaltung in den musikalischen Ausdrucksmitteln das Werk. An die liturgischen Texte der Totenmesse ist noch – wie bei Fauré – der Gesang „In paradisum deducant angeli“ (Zum Paradies mögen Engel dich geleiten) eingefügt, der in seiner ätherischen Wirkung Zuversicht vermittelt. Insgesamt erhält Duruflés Requiem mit dem Verzicht auf das Melodramatische eine düstere, aber gefällige Majestät.

 

In drei aufeinanderfolgenden Stadien entstanden drei „Original“-Fassungen. Zunächst lag 1947 die Version für großes Orchester und Orgel sowie Chor und zwei Solisten (Mezzosopran und Bariton) vor. Diese „konzertante“ Version ist zwar wirkungsvoll, aber nie im Sinne des Tragischen oder Theatralischen. Ihr folgte sogleich die reine, abgeklärte Einrichtung mit bloßer Orgelbegleitung, die sich durch einen großen Reichtum des Instrumentalsatzes auszeichnet. Den Abschluss bildet die gewissermaßen vermittelnde Fassung für reduzierte (quasi kirchliche) Instrumentalbesetzung, die auf ideale Weise sowohl Duruflés Zurückhaltung als auch dem liturgischen Kontext entspricht, dem sich das Werk unterwirft.

 

 

 

[21] Ernst Pepping (1901-81): Missa Dona nobis pacem (1948)

 

Über viele Jahrzehnte spielte Ernst Pepping eine führende Rolle in der zeitgenössischen evangelischen Kirchemusik. 1901 in Duisburg geboren, studierte er Musik in Berlin und wirkte dann zunächst freischaffend in Mühlheim/Ruhr und Essen, ehe er sich in Berlin niederließ – als Lehrer zuerst an der Evangelischen Kirchenmusikschule in Spandau und später an der Musikhochschule. Peppings Anliegen war, die Kirchenmusik aus dem Bereich des Expertentums herauszuführen und praxisnäher zu gestalten. Dabei knüpfte er an die Tradition des 17. Jahrhunderts an, wie sie in der evangelischen kirchenmusikalischen Erneuerung um 1900 propagiert wurde. Er führte sie jedoch eigenschöpferisch weiter. Den protestantischen Choral und den barocken Vokalstil machte er zum Zentrum seines musikalischen Denkens. Seinen Kompositionen liegt eine polyphone Setzweise zugrunde, eingebettet in eine Tonalität, die auf das Material der Kirchentonarten zurückgreift. Sein Gesamtwerk umfasst geistliche wie auch weltliche Musik. Zu den Höhepunkten seines Schaffens gehören Werke der sakralen Vokalmusik: die „Missa Dona nobis pacem“ (1948), der „Passionsbericht des Matthäus“ (1950), das „Te Deum“ (1955) und die „Weihnachtsgeschichte des Lukas“ (1959).

 

Die Missa (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei) entstand in einer Zeit und an einem Ort, die die Katastrophe der deutschen Geschichte hautnah spüren ließen: Zerstörung der Stadt Berlin, äußere Not, aufkeimendes Schuldbewusstsein, Befürchtungen eines neuen Krieges zwischen Westmächten und Sowjetunion und Isolationsangst, nur gemildert durch die „Luftbrücke“ von englischen und amerikanischen Flugzeugen. Die Wirkung dieser programmatisch betitelten Messe war eindeutig. Das in seiner eindringlichen Tonsprache erschütternde Werk schien all das zu bündeln, was die Menschen in dieser schwierigen Situation bewegte. Pepping jedoch hat diesen Zeitbezug wohl nicht beabsichtigt; er lehnte auch generell jegliche Vereinnahmung seiner Kunst von zeitgeschichtlichen oder politischen Strömungen ab. Seine Idee von Kunst war, Überzeitliches, ganz aus dem musikalischen Material heraus Entwickeltes zu formen. Dieser Widerspruch zwischen Absicht und Wirkung löst sich beim Hören der Messe sofort auf. Der Wahl des Titels wie auch der eindringlichen Vertonung des „dona nobis pacem“ im Agnus-Dei-Teil kommt durchaus programmatische Bedeutung zu. Auch ist der Gesamtduktus des Werkes geprägt von Zerrissenheit, Angst, ja vom Schrei der Verzweiflung sowie von der Sehnsucht nach einer anderen, friedlichen Welt. Eine Komposition, deren Anspruch ein ausdrücklich überzeitlicher ist, birgt auch das Zeitbedingte in sich. So können sich sowohl die Hörer der Nachkriegszeit als auch die des 21. Jahrhunderts mit seinen Emotionen und Gedanken in dieser Messe wiederfinden.

 

 

 

[22] Karlheinz Stockhausen (1928-2007): Gesang der Jünglinge (1956)

 

Kaum ein anderer Komponist hat einen so prägenden Einfluss auf die Musik nach dem Zweiten Weltkrieg gehabt wie Karlheinz Stockhausen. 1928 in Mödrath (östlich von Köln) geboren, blieb es ihm nicht erspart, den Krieg mit all seinen Gräueln zu erleben – was ihm ein eigenes Gespür für Wirklichkeit vermittelte. In Köln studierte er Klavier, Schulmusik, Musikwissenschaft wie auch Philosophie und Germanistik. Er begann zu komponieren und nahm Kurse bei Olivier Messiaen. Seit 1953 arbeitete er im Kölner Studio für elektronische Musik, dessen Leitung er später übernahm.

 

1956 entstand die Komposition „Gesang der Jünglinge“ – nach der Erzählung vom Feuerofen im Buch Daniel. Stockhausen ging von herkömmlichen Klängen aus und verband sie mit elektronischer Musik. Eine Knabenstimme etwa singt inmitten einer künstlichen Klangwelt zum Lob Gottes. Damit realisierte der Komponist ein neuartiges Konzept der Verbindung von Musik und Sprache, wobei er erstmals den Raum in die Musik miteinbezog. Wortpartikel werden als musikalische Strukturelemente benutzt. Die Schallrichtung und die Bewegung der Klänge im Raum werden vom Musiker gestaltet und als eine neue Dimension für das musikalische Erlebnis erschlossen. „Gesang der Jünglinge“ ist nämlich für fünf Lautsprechergruppen komponiert, die rings um die Hörer im Raum verteilt sein sollen. Ursprünglich war an den Raum des Kölner Doms gedacht; doch die kirchliche Autorität ließ es nicht zu. So kam es zur Uraufführung beim WDR.

 

36 Jahre später erinnerte sich Stockhausen an die damaligen Reaktionen: „Man hat laut gelacht im Großen Sendesaal ... die Leute [waren] empört darüber, und die Zeitungen standen voll mit großen Schlagzeilen: ‚Gotteslästerung’ oder ‚Die Fratze Gottes in Musik’ usw. ... Und ich fühlte mich absolut identisch mit einem dieser Jünglinge – dagegen, dass man von uns verlangen wollte, etwas zu glauben, etwas ganz Bestimmtes zu glauben, so wie der Nebudaknezar verlangte, dass also Leute jetzt irgendwelche vergoldeten Götterfiguren anbeteten, und die sich weigerten, weil sie eine andere Vision Gottes hatten. Und sie sollten verbrannt werden. Also das ist das Beispiel, dass jemand ganz klar seinen Weg geht, ganz egal, was die anderen gegen ihn sagen, und das ist bis heute dasselbe. Ich bin immer noch einer dieser Jünglinge im Feuerofen.“

 

Im „Gesang der Jünglinge“ trat eine Konstante in Stockhausens Denken erstmals unverstellt in Erscheinung: der Glaube. In den Werken der 1960er Jahre manifestierte er sich dann als Mischung irgendwo zwischen rheinischem Katholizismus und asiatischen Glaubenslehren. Vor dem Hintergrund der damals entstehenden Hippie- und Meditationskultur schaffte sich Stockhausen eine labyrinthische Privatmythologie. Seine Musik wurde farbiger, rauschhafter und erhielt einen Zug ins Mystisch-Irrationale.

 

 

 

[23] John Coltrane (1926-67): A Love Supreme (1964)

 

John Coltrane war vielleicht der innovativste Jazzsaxofonist. In ihm flossen alle Strömungen des Jazz (New Orleans, Swing, Bebop, Cool, Hardbop) hörbar zusammen. Über die perfekte Beherrschung seines Instruments hinaus entwickelte er wie kaum ein anderer Jazzmusiker eine spirituelle Dimension des Musizierens.

 

1926 in Hamlet, North-Carolina, geboren, wuchs Coltrane (oft „Trane“ gerufen) in einem afroamerikanisch-christlichen Umfeld auf. Nach Philadelphia umgezogen, lernte er verschiedene Blasinstrumente zu spielen. Seine Kenntnisse ergänzte er durch den Besuch der Granoff Studios und der Ornstein School of Music. Er spielte in verschiedenen Jazzbands, etwa mit den Trompetern Dizzy Gillespie und Miles Davis. Mit 31 Jahren hatte er ein religiöses Erweckungserlebnis, das ihm vom Heroin loszukommen half und philosophisch-religiösen Fragen intensiv nachgehen ließ. Aus dem Glauben an eine universale göttliche Macht der Liebe schöpfte er Kraft, Gelassenheit und Motivation. Seine persönlich geformte Spiritualität sprengte die Grenzen von Konfession und Religion. Glauben und Wahrheit, Liebe und Frieden wurden zunehmend zu zentralen Begriffen in seinem Weltbild.

 

Statt in der im Jazz üblichen Harmonik durch Verbindung von Dur-Moll-Akkorden zu spielen, trieb er die von Miles Davis entwickelte modale Technik voran; das heißt, eine Tonskala bestimmt den harmonischen Charakter des gesamten Stücks. Bis 1960 spielte er in verschiedenen Formationen mit, dann bestimmte er selbst die Mitspieler. Nach einigen Umbesetzungen kristallisierte sich ein Quartett von historischer Bedeutung heraus. Im Pianisten McCoy Tyner, dem Bassisten Jimmy Garrison und dem Schlagzeuger Elvin Jones fand Coltrane Mitstreiter, deren intuitives Verständnis bis heute ihresgleichen sucht.

 

1964 nahm das Quartett das Album „A Love Supreme“ (frei übersetzt: Lobpreis auf die Macht der Liebe Gottes) auf. Damit drückte Coltrane sein persönliches „Credo“ musikalisch aus. Die vier Sätze dieses 35-Minuten-Stücks tragen eigenwillige Überschriften: Acknowledgement (Eingeständnis) – Resolution (Vorsatz) – Pursuance (Erfüllung) – Psalm. Jeder einzelne Satz ist geprägt von hoher musikalischer Intensität. Der Jazzkenner Joachim-Ernst Berendt schreibt: „Jene psalmodierende Monotonie, die ganze Sätze des vierteiligen ‚Love Supreme’ auf einem einzigen Akkord – einem drone – aufbaut und deshalb von nirgendwo herzukommen und überall hinzuführen scheint, ist ihm [Coltrane] Ausdruck tönender Unendlichkeit.“

 

In einem selbstverfassten längeren Gebetstext, mit dem Coltrane den tieferen Sinn des Stücks nahebringen wollte, heißt es: „Ich will alles tun, um deiner, o Herr, würdig zu sein ... Ich danke dir, Herr ... Worte, Klänge, Reden, Menschen, Erinnerungen, Gedanken, Angst, Gefühle, Zeit – es kommt alles vom einen [Gott] ...“

 

 

[24] György Ligeti (1923-2006): Requiem (1965)

„Träumen Sie in Farbe oder Schwarzweiß?“ Mit solchen Fragen konnte der Komponist György Ligeti seine Gesprächspartner stets verblüffen. Bezeichnenderweise wurde diese Frage auch als Buchtitel gewählt: Interviews des Musikjournalisten Eckhard Roelcke mit dem achtzigjährigen Komponisten. Zu verblüffen wusste Ligeti vor allem mit seinen avantgardistischen Kompositionen.

 

1923 als Jude ungarischer Abstammung in Siebenbürgen (Rumänien) geboren, erhielt er seine musikalische Ausbildung am Konservatorium in Klausenburg und an der Musikakademie in Budapest, wo er ab 1950 auch lehrte. Er bereiste Rumänien, wo er in der Tradition von Béla Bartók und Zoltán Kodály Volkslieder aufzeichnete. Nach der Niederschlagung der Ungarn-Aufstands 1956 flüchtete er nach Wien und fand dann – auf Einladung des WDR – Arbeit beim Kölner Studio für elektronische Musik. Von solcher Kompositionstechnik sagte er sich jedoch bald los. 

 

1963 entstand die Studie „Poème symphonique“, ein Stück für hundert unterschiedlich schnell tickende Metronome. Beispielhaft ist hier Ligetis Lebensthema formuliert: der musikalische Rhythmus als gegliederte Zeit. Zugleich beabsichtigte er mit dieser Studie eine wortlose Kritik am Konzertritual, an Weltanschauungen und Ideologien – ein zweites überdauerndes Charakteristikum Ligetis.

 

Ein Requiem hatte der konfessionslose Komponist schon in Budapest für die katholischen Stalin-Opfer in Ungarn erwogen. Mit einem Auftrag aus Stockholm konnte er 1965 den Plan umsetzen. Etwas so Altmodisches wie ein Requiem zu schreiben war auch ein Affront gegen die Konventionen der Neuen (elektronischen) Musik. Angeregt durch die Höllenbilder von Hieronymus Bosch und Hans Memling, gestaltete Ligeti die Totenmesse als packendes Drama.

 

Von den Texten der katholischen Totenmesse sind im „Requiem“ nur drei vertont: Introitus „Requiem aeternam“, Kyrie, Sequenz „Dies Irae“. „Die Gesamtform“, so schreibt der Komponist, „ist folgendermaßen ausbalanciert: Introitus homophon, Kyrie polyphon, Dies Irae polyphon mit homophonen ‚Inseln’, Lacrimosa zweistimmig homophon, mit reduziertem Orchester. Das Kyrie ist eine ‚große Fuge’ mit fünf Hauptstimmen (...). Jede Stimme besteht aus einem vierstimmigen Kanon, so dass der Chorsatz zwanzigstimmig ist. Die vierstimmigen ‚Bündel’ setzen stets unisono ein, danach werden sie zu Kanons aufgefächert, gemäß – von mir aufgestellten – strengen Regeln. Diese Regeln sichern die Einheit der Faktur. Die Musiksprache ist streng chromatisch und rhythmisch komplex (auf imitatorische Art). Das Orchester schillert in changierenden Farben...“

 

Auch heute noch wirkt Ligetis „Requiem“ hypermodern, verstörend und zugleich faszinierend. Der Pianist und Dirigent Christoph Eschenbach hat es sogar zu den fünf herausragenden Werken des 20. Jahrhunderts gerechnet.

 

 

 

[25] Krzysztof Penderecki (geb. 1933): Lukaspassion (1965/66)

 

Münster 1966: Zur 700-Jahr-Feier des Doms erklingt am 30. März die „Passio et mors Domini nostri Jesu Christi secundum Lucam“, kurz: die Lukaspassion von Krzyzstof Penderecki. Der 32-jährige Komponist aus Polen war bis dahin nur der Fachwelt bekannt. Nun trugen die enthusiastischen Berichte von der Uraufführung der Lukaspassion den Namen Penderecki in Windeseile in die ganze Welt. Fast über Nacht wurde Penderecki einer der populärsten Protagonisten der zeitgenössischen Musik.

 

1933 in Krakau geboren, kündigte sich im jungen Penderecki schon früh eine große Musikerkarriere an. Nach Abschluss des Musikstudiums wurde er gleich als Dozent verpflichtet. 1959 prämierte die Jury des Krakauer Wettbewerbs des polnischen Komponistenverbandes all drei von ihm eingereichten Werke. Im Herbst 1960 war Penderecki bereits im „allerheiligsten“ Bezirk der Neuen Musik angelangt, bei den Donaueschinger Musiktagen. Die Uraufführung seines experimentellen Orchesterwerks „Anaklasis“ löste einen Sturm der Begeisterung aus. Seine Musik wischte die traditionelle Zweiteilung von Akkord und Linie, von Harmonik und Melodie einfach weg, vor allem die Zweiteilung des akustischen Materials in Klang und Geräusch. Bei Penderecki schien Musik die Ketten, die ihr die Kultur angelegt hatte, mit aller Gewalt zu sprengen. „Anaklasis“ war weniger Komposition denn schieres Naturereignis.

 

Mit der Lukaspassion 1966 gewann er auch das breite Publikum. Das achtzig Minuten daunernde Werk ist für einen Sprecher, drei Solisten, gemischten Chor und Orchester eingerichtet. Kompositionstechniken der gesamten abendländischen Musik – Organum, Motette, Variation, Reihentechnik – kommen hier zur Geltung und verschmelzen zu einer individuellen Klangsprache. Nach dem Vorbild der Passionen von Johann Sebastian Bach finden sich in Pendereckis (lateinischer) Passion Erzählpassagen, dramatische Chorszenen, Solo-Arien und A-cappella-Psalmen. Über die Darstellung des Leidens Jesu Christi hinaus sind auch die Leidengeschichten der ganzen Menschheit bis hin zu Auschwitz einbezogen. Als außergewöhnlich erwies sich vor allem die Synthese von avantgardistischen Techniken und Modellen der musikalischen Tradition mit sakralen Inhalten. Klang und Geräusch stehen in diesem Werk gleichberechtigt nebeneinander. Das Experimentieren mit expressiven Klangflächen, mit radikaler Erweiterung vokalen Ausdrucks vom Flüstern bis zum Schrei erscheint hier ausgereift. Das Werk zeigt entwickelte Klangtechniken, besonders die Gestaltung von Clustern (Tonballungen) auf Themen, die Grenzsituationen von Menschen betreffen.

 

Später kehrte Penderecki der experimentellen Avantgarde den Rücken und komponierte im eher spätromantischen Stil, was man ihm teilweise auch als Verrat vorwarf.

 

 

[26] Peter Janssens (1934-98): „Wir haben einen Traum“ / “Unser Leben sei ein Fest“ (1972) 

Was später einmal mit dem Sammelbegriff „Neues Geistliches Lied“ (NGL) bezeichnet wurde, begann mit Paukenschlägen: 1964/65 wurden unter Leitung von Leo Schuhen die sogenannten „Duisburger Messen“ auf Schallplatte eingespielt. Es handelte sich um Negrospirituals mit deutschen Messtexten, arrangiert im Stil des Dixieland-Jazz. Sie wurden „Jazzmessen“ oder „Spiritualmessen“ genannt. Solche Experimente brachten zwar Schwung in die müde gewordenen Gemeindegottesdienste. Es war aber nur ein Schritt auf dem Weg zu dem, das zum deutschsprachigen Kulturraum passte.

 

Hier spielte der 1934 in Telgte geborene Katholik Peter Janssens von Anfang an eine prägende Rolle. Von der Bühnenmusik herkommend ließ er sich von Textdichtern wie Wilhelm Willms und Alois Albrecht inspirieren, ein zeitgemäßes Gottesbild und eine entsprechende Tonsprache für den christlichen Gottesdienst zu finden. Sein unverwechselbarer Stil – eine Mischung aus Popsong, Chanson und Jazz – bekundete sich in Liedern, Singspielen und Musicals. Vom Vorwurf mangelnder musikalischer Qualität und sprachlicher Dürftigkeit des NGL ist Janssens umfangreiches Schaffen wohl auszunehmen.

 

Wie ernsthaft Musiker und Texter in der Frühphase des NGL um dessen Einordnung in Gemeinde und Liturgie bemüht waren, zeigte beispielhaft ein Projekt der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG). Im Herbst 1971 traf sich eine Gruppe um Peter Janssens, um Texte und Musiken für eine Messe und eine Feier zu finden, die eucharistische Gemeinschaft und weltliches Fest miteinander verbanden. Anlass zu dieser Arbeit war das Delegiertentreffen der KJG in Fulda zu Pfingsten 1972. Aus diesem Teamwork ging die Schallplatte „Wir haben einen Traum“ / “Unser Leben sei ein Fest“ mit elf Titeln hervor. Einige dieser Lieder haben sich als verschleißfeste „Evergreens“ erwiesen.

 

Mehrfach äußerte sich Janssens zu seiner kirchenmusikalischen Arbeit, so in einem Interview zwei Jahre vor seinem Tod 1998: „Es gibt keine Trennung zwischen geistlicher und weltlicher Musik ... Die Trennung, die jahrhundertelang aufgebaut worden war, ist nur aufgezwungen. Sie ist von Päpsten und Cäcilianern aufgezogen. Jeder ernstzunehmende Musikwissenschaftler wird sagen, daß es solch eine Trennung nicht gibt. Es hat sie auch nie gegeben. Musik wird, sage ich immer etwas konziliant, durch die Verwendung im Gottesdienst geheiligt. Aber von der Sache her ist es überhaupt nicht drin ... Ich will die herkömmliche Kirchenmusik überhaupt nicht abschaffen, aber ich bin dagegen, Güteklassen aufzurichten. Musik wird nicht zum Gottesdienst hinzugefügt, sie ist Teil des Gottesdienstes. Wenn diese Teilnahme nicht möglich ist, ist das nicht Liturgie. Wo das aber andererseits mittels der Musik möglich wird, ist diese Musik liturgietauglich.“

 

[27] Ariel Ramirez (geb. 1921): Misa por la Paz y la Justicia (Messe für Gerechtigkeit und Frieden – 1981)

Ariel Ramirez, geboren 1921 in Santa Fe (Argentinien), hatte sich schon lange einen Namen gemacht als Komponist von lateinamerikanischen Liedern, Tänzen und Chören. Bereits vor der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums versuchte Ramirez die Musiktraditionen Lateinamerikas für den Gottesdienst fruchtbar zu machen. Mit der populären „Misa Criolla“ (Kreolische Messe) von 1964, einer Vertonung von kirchlichen Messtexten in kastilischer Sprache, gelang ihm auf geniale Weise die Verbindung von Kunstmusik und Folklore.

 

17 Jahre nach der „Misa Criolla“ komponierte Ramirez ein weiteres großes Werk für die Messfeier: „Misa por la Paz y la Justicia“ (Messe für Gerechtigkeit und Frieden). Schon der Titel zeigt den programmatischen Unterschied an. Ging es in der Kreolischen Messe um die Hervorhebung der Ortskirche mit einem besonderen ethnischen Hintergrund, so reagierte die „Friedensmesse“ stärker auf die politische und wirtschaftliche Situation Lateinamerikas. Die vielen schockierenden Ereignissen auf der Erde haben den Komponisten zum Schreiben dieser Messe veranlasst – Ergebnis einer langen Meditation. Es werden Texte und Gebete verwendet, wie sie in der katholischen Liturgie vorkommen, mit dem besonderen Akzent des Betens um Frieden und Gerechtigkeit.

 

Auch der Umfang der einzelnen Gesänge ist in der neuen Messe ausgeweitet: über die Teile des Messordinariums hinaus sind auch Propriumsteile vertont: Antwortpsalm, Halleluja, Kommuniongesang. Hinzu kommt eine komponierte Homilie, die gesprochene Texte Papst Johannes Pauls II. enthält, sowie eine Vertonung des Psalms 150.

 

Zusätzlich zur Musik mit Vokalsolisten und Chor tritt auch einer Sprecher auf. Die Bandbreite der begleitenden Instrumente reicht von elektronischen bis hin zu einfachen und ursprünglich südamerikanischen Folklore-Instrumenten: Quenas (Flöten), Sikus (Panflöten), zwölfsaitige Gitarren, Charango (kleine Gitarren ohne Holzrücken). Ergänzend treten traditionelle westliche Instrumente hinzu: Orgel, Clavicembalo, elektrische Gitarre und Kontrabass sowie verschiedene Schlaginstrumente.

 

Kompositorisch ist Ramirez seinem Stil treu geblieben. Er verwendet typische Rhythmen und Elemente aus der argentinischen und der einheimisch-kreolischen Folklorekultur. Die Bagualas mit ihren Tonleitern von drei oder vier Klängen, Cuecas, Samba und andere Tanzformen, Weisen und Chacareras – allesamt vokale oder choreografische Formen aus der Welt der Folklore – wechseln mit Rhythmen und melodischen Formeln der einheimischen Toba-Indianer. Die Melodien erhalten so eine freie Harmonisierung. Noch freier erscheint der Einsatz von Klangeffekten, indem Instrumente wie das Clavicembalo oder moderne technische Geräte integriert werden, die sich von ihrem ursprünglich folkloristischen Umfeld offenbar entfernt haben.

 

[28] Arvo Pärt (geb. 1935): Johannespassion (1982)

„Mein ganzes Leben steht auf dem Notenpapier. Und das ist für die Veröffentlichung bestimmt.“ So äußert sich der Komponist Arvo Pärt wiederholt, wenn er über sich sprechen soll. Er liebt das Schweigen und er braucht die Stille, um schöpferisch zu sein. Pärt wurde 1935 in Paide bei Tallinn (Estland) geboren als Sohn einer lutherischen Mutter und eines russisch-orthodoxen Vaters. Er studierte Musik am Konservatorium von Tallinn und experimentierte zunächst mit atonalen Klängen, womit er sogleich Anstoß bei der staatlich gelenkten Kritik erregte. Er rettete sich in den Beruf des Tonmeisters und komponierte nebenher unverdächtige Filmmusiken. Seit 1980 lebt er vorwiegend in Berlin.

 

Mitte der 1970er Jahre fand er zu seinem unverwechselbaren Kompositionsstil, der mit dem Wort „Tintinnabuli“ („Glöckchen“) gekennzeichnet wurde. Typisch ist hierbei, dass eine Stimme des musikalischen Satzes sich in den Tönen des Dreiklangs bewegt, während eine andere Abschnitte der Tonleiter durchschreitet.

 

Ein bedeutendes Werk in diesem Stil stellt die „Johannespassion“ (1982) dar: „Passio Domini nostri Jesu Christi secundum Joannem“. Kompositionstechnische Grundlage dieser Passion bilden eine einfache, von der Gregorianik angeregte Melodik in stufenweiser und symmetrischer Auf- und Abwärtsbewegung sowie eine auf Dreiklängen beruhende, statisch wirkende Harmonik. Der Text folgt, außer Einleitung und Schluss, der lateinischen Bibelübersetzung (Vulgata). Er ist vertont für Soli, Chor, Orgel und vier Soloinstrumente (Violine, Oboe, Violoncello, Fagott). Die melodischen Stimmen gehen vom Einklang aus, werden allmählich aufgefächert und enden schließlich wieder im Einklang. Der pausendurchsetzte Tonsatz hebt immer wieder an, um ganz frei von Pathos gleichsam introvertiert die Leidensgeschichte zu erzählen.

 

Die Textdeklamation wirkt objektivierend distanziert. Jede Silbe trägt durchweg nur einen Ton. Die Worte des Evangelisten bewegen sich in Viertelnoten, während die Pilatus-Worte in halben Noten und die Jesus-Worte in punktierten Halben vorgetragen werden. Expressive Textausdeutung entfällt damit, ausgenommen etwa Jesu Worte am Kreuz.

 

Die Instrumente sind gewöhnlich in gegenläufiger Bewegung, entweder mit den Stimmen zusammen oder mit ihnen im Wechsel eingesetzt. Nach der Praxis des 16. Jahrhunderts sind sowohl Turbachöre als auch Soliloquenten (Petrus, Magd) mehrstimmig gesetzt. Mit der solistischen Vertonung der Jesus- und Pilatus-Worte finden die zwei Welten, von den Kontrahenten im Prozessdialog hervorgehoben, in Pärts Werk eine Entsprechung. Die Passagen des Erzählers werden von Solisten wechselweise ein- bis vierstimmig vorgetragen. Insgesamt wirkt diese Musik schmucklos und karg. Ihre Faszination mag aber gerade in dieser kunstvollen Ärmlichkeit liegen.

 

 

[29] John Tavener (geb. 1944): The Protecting Veil

Sir John Tavener ist eine einzigartige, umstrittene und sich stetig weiterentwickelnde Gestalt der zeitgenössischen Musikszene seit den sechziger Jahren gewesen. 1944 in London als Sohn presbyterianischer Eltern geboren, begann er 1962 mit dem Studium von Klavier und Komposition an der Royal Academy of Music, wo er später auch eine Professur annahm.

 

Seine frühen Kompositionen zeigten Taveners zunehmend eigene Auffassung von musikalischer Philosophie und Spiritualität, insbesondere sein Nachdenken über das Leben nach dem Tod. Schon hier bekundet sich sein Lebenskonzept: Um mit der eigenen Seele in Berührung zu kommen, muss man zuerst die peripheren, weltlichen Elemente des Lebens entfernen. Danach bleibt etwas ganz Einfaches zurück: die Essenz des Lebens. Eine konfessionelle Heimat fand er 1977 in der orthodoxen Kirche. Die Beschäftigung mit deren traditioneller Musik bewirkte auch die Hinwendung von einem komplex-modernistischen zu einem einfach-kontemplativen Kompositionsstil.

 

1987 entstand das Instrumentalstück „The Protecting Veil“ (Der schützende Schleier). Der Cellist Steven Isserlis hatte Tavener um eine Komposition gebeten, und die BBC, die das Stück für die Promenadenkonzert-Saison 1989 in Auftrag gab, hatte ein konventionelles Cellokonzert von zwanzig Minuten Dauer erwartet. Tavener schuf jedoch – doppelt so lang – eine außergewöhnliche lyrische Monodie für Cello und Streicher. Die Konzeption des Stücks lieferte das orthodoxe Fest des schützenden Schleiers der Muttergottes. Es geht zurück auf ein Ereignis in Konstantinopel im frühen 10. Jahrhundert. Als die Griechen vom Einmarsch der Sarazenen bedroht waren, erlebten Andreas und sein Schüler Epiphanios während einer Vigil eine Erscheinung der Muttergottes: Hoch am Himmel, von einer Engelschar umgeben, breitete sie ihren Schleier schützend über die Christen aus. Durch diese Vision ermutigt, konnten die Griechen den Angriff der Sarazenen abwehren.

 

Der Komponist versucht, die geradezu kosmischen Kräfte der Gottesmutter zu erfassen. Sie wird verkörpert von einem ununterbrochen singenden Cello. Die Streicher können als massive Erweiterung ihres endlosen Gesangs verstanden werden. Es gibt keine dramatische Entwicklung, keine Harmonisation der Melodie, keinen Kontrapunkt; nur einen großen ausgedehnten monodischen Bogen. Mit dem Werk versuchte Tavener, eine lyrische Ikone aus Klang anstelle von Holz zu schaffen, und statt des Pinsels den Cellisten malen zu lassen.

 

Die Muttergottes war die wichtigste Muse für Tavener und hat ihn zu vielen Stücken inspiriert. Sie stellt dar, was er „das ewig Weibliche“ nennt – eine Eigenschaft, die Sehnsucht, Großzügigkeit, Anziehung und Freundlichkeit darstellt, was – wie er meint – die Menschen in den westlichen Kulturen aus den Augen verloren haben.

 

 

[30] Tom Löwenthal / Huub Oosterhuis: Missa Solemnis (1991)

Der Begriff „Missa solemnis“ meint zweierlei: Liturgisch ist er die klassische (vorkonziliare) Bezeichnung für die vor allem durch Gesang festliche Messfeier (Hochamt). Musikalisch bedeutet „Missa solemnis“ eine groß angelegte Vertonung des Messordinariums (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei). Mit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums verlor das Ordinarium seine beherrschende Rolle zugunsten des Propriums, der inhaltlich wechselnden Elemente.

 

Die „Missa Solemnis“ mit niederländischen Texten von Huub Oosterhuis und Musik von Tom Löwenthal bildet statt des verbreiteten Singens von Einzelstücken ein zusammenhängendes musikalisches Ganzes. In zeitgenössischer Form wird auf eine alte liturgische Gesangstradition zurückgegriffen: Liturgie als „Cantus“, als ein durchgehender Gesang.

 

Tom Löwenthal, geboren 1954, begann seine musikalische Laufbahn als Mitglied des Chores an der Dominicuskerk in Amsterdam, den der Komponist Bernard Huijbers damals leitete. Löwenthal studierte Chorleitung in Utrecht und Musiktheorie in Den Haag. Als Dirigent arbeitete er lange Zeit an der Amsterdamer Studentenkirche, dann auch an der Dominicuskerk. Vorwiegend vertonte er Texte des Theologen und Dichters Huub Oosterhuis. Dieser, geboren 1933, war als Jesuitenpater Studentenpfarrer in Amsterdam. 1969 wandte er sich der reformierten Kirche zu und spielte dann eine wichtige Rolle in der Entfaltung der „freien Liturgie“-Praxis; diese ersetzte mitunter Bibellesungen durch Deutungsgeschichten, die in liturgischen Arbeitsgruppen erstellt wurden; wobei die Eucharistiefeier nicht mehr als Sakrament verstanden wurde.

 

Die Texte dieser „Missa Solemnis“ bilden eine Art Kollage mit einer Thematik, die den jüdisch- christlichen Schriften entnommen ist. Im Zentrum der vierzehn Elemente steht ein Text, der aus dem Altes Testament stammt und der bis auf den heutigen Tag im Judentum einen zentralen Platz einnimmt: das „Schema Israel“, hebräisch für „Höre, Israel“ (Dtn 6,4-5). Dieser Text wird von den frommen Juden täglich morgens und abends als Bekenntnis zu Gottes Einzigkeit rezitiert. Die „Missa Solemnis“ ist dazu gedacht, als Gottesdienst gefeiert zu werden. Sie besteht aus den beiden Teilen „Wortgottesfeier“ und „Mahlfeier“ (Eucharistie/Abendmahl). An bestimmten Stellen können auch andere liturgische Elemente folgen wie Predigt, Austeilung von Brot und Wein, Stille. Für die Ausführung als Gottesdienst liegt von einigen Elementen auch eine einfachere Version vor. Die Gesangsbegleitung ist in erster Linie für Klavier und Orgel geschrieben. In musikalischer Hinsicht vereinigt der Komponist mit diesem Werk in sich gregorianische Texttreue, klassisch-tonale Melodieführung und Harmonie sowie eine zeitgenössische Rhythmik, die an Igor Strawinsky erinnert.

 

 

[31] Wynton Marsalis (geb. 1961): In This House, On This Morning (1992) 

Im amerikanischen Jazz der 1980er Jahre entwickelte sich eine starke Strömung, die vor allem den Blick zurück in die Jazzgeschichte wagte. Der Dialog mit der Jazzvergangenheit wurde wichtiger als der visionäre Blick nach vorn. Verheißungsvoller als Utopien erschien die Auseinandersetzung mit dem großen Jazzerbe. Als Hauptvertreter dieses „Neoklassizismus“ gilt der Afroamerikaner Wynton Marsalis. Sein konservativer Ruf „Back to the roots!“ (zurück zu den Wurzeln) – von Blues bis Bebop – und sein starker Einfluss in der Musikkultur haben allerdings die Jazzszene stark polarisiert.

 

Geboren 1961 in New Orleans als Sohn des Jazzpianisten Ellis Marsalis, war Wynton von Anfang an – daheim, draußen und in der Kirche – in Klängen gebadet. Bereits mit sechs Jahren erhielt er seine erste Trompete. Er lernte sowohl Jazz als auch klassische Musik und durfte schon früh in großen Orchestern als Solist spielen. In New York setzte er 1979 seine Studien auf beiden Gebieten fort, entschied sich dann aber, mit Jazz den schwierigeren Weg zu beschreiten. Er spielte in verschiedenen Bands mit, bis er 1988 ein eigenes Septett formte, das in verschiedenen Besetzungen bis in die Gegenwart gespielt hat.

 

Seit 1987 wirkte Marsalis am New Yorker Kulturzentrum und wurde künstlerischer Leiter des dortigen „Jazz at Lincoln Center“. Damit stand ihm ein ideales Forum für die Pflege der Jazztradition in Konzerten und Workshops zur Verfügung. Er gilt als einer der größten Trompeter aller Zeiten, der Louis Armstrong, Miles Davis und Dizzy Gillespie nicht nur perfekt imitieren kann, sondern mit immer neuen Finessen auch seine eigene Tonsprache entwickelt hat. So versuchte er sich auch mit Kompositionen groß angelegter Werke.

 

1992 entstand „In This House, On This Morning“ (In diesem Haus, an diesem Morgen) – eine vielgliedrige Suite für Jazz-Septett und Solo-Sopran. Das Werk stellt den Ablauf eines typischen afroamerikanischen Predigtgottesdienstes dar. Es ist in drei Teile gegliedert, die auf insgesamt 21 Sätze verteilt sind. Einige der Titel lauten (in deutscher Übersetzung): Andacht – Aufruf zum Gebet – Prozession – Fürbittgebet – Gebet des Herrn – Vermeldungen – Altar-Ruf – Schlusslied – Segen – Gesegnete Mahlzeit. Sogar eine Predigt mit den thematischen Schwerpunkten Vater, Sohn, Heiliger Geist wird instrumental dargestellt. Hier wird versucht nicht nur die Gottesdienst-Atmosphäre emotional wiederzugeben, sondern es ist auch eine Fülle von subtil durchdachten musikalisch-rhythmischen Bezügen enthalten. Menschliche Stimmen werden instrumental nachgeahmt ebenso wie Glockengeläut auf dem Klavier. Musikstilistisch ist eine große Bandbreite zu hören, vom New Orleans-Jazz über Swing- und Bebop-Klänge bis hin zu hypermodernen Klangfetzen.

 

 

[32] Manfred Honetschläger / Peter Reiter-Schaub / German Marstatt: Jazz-Messe. Messe für unsere Zeit (1999)

Angeregt durch Uwe Krause (geboren 1960), Kirchenmusiker an der evangelischen Markuskirche in Butzbach, entstand 1999 die Gemeinschaftsproduktion einer (lateinisch-deutschen) Jazz-Messe. Der Untertitel „Messe für unsere Zeit“ geht auf den christlichen Lyriker Kurt Rose zurück. Wie Kantor Krause in der CD-Textbeilage schreibt, haben die Vorüberlegungen zur Konzeption der Jazz-Messe ihren musikalischen Ursprung in der Zusammenarbeit des Hilliard-Ensembles mit dem Jazzsaxophonisten Jan Garbarek sowie in Aufnahmen des Trompeters Wynton Marsalis. Aber auch die Beschäftigung mit dem Thema Popularmusik hat die Idee reifen lassen, kirchliche Tradition und Jazz erneut zusammenzuführen.

 

Traditionelle Texte der katholischen Messfeier sollten Texten der Gegenwart gegenübergestellt werden, um so das Altvertraute in neuem Licht erscheinen zu lassen. Es handelt sich um die Ordinariumsteile Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei, erweitert um den Hymnus „Veni Creator“ als Introitus und eine Parabel anstelle der Predigt. Autoren der ausgewählten Texte sind: Josef Müller, Anton Rotzetter, Detlef Block, Kahlil Gibran, Kurt Rose, Hermann Düringer, Shalom Ben-Chorin. „Im Sinne des Grundanliegens bedeutete dies: An die traditionellen, gleichsam objektiven Aussagen des (lateinischen) Mess-Textes schließt sich jeweils ein eher subjektiv-expressiver Text in der Sprache unserer Zeit an“ (Paul-Gerhard Nohl).

 

Der Zusatztext zum „Kyrie“ beispielsweise stammt von Anton Rotzetter: „Wo bist Du, Gott, bei so viel Hunger? Was bist Du, Gott, bei so viel Elend? Wen brauchst Du, Gott, für so viel Not? Wie hilfst Du, Gott, bei so viel Tod? Warum schweigst Du, Gott, bei so viel Schreien?“ Rotzetters Gebetsruf nimmt die Tradition des Kyrie als Klagegebet auf: Klagende Anfragen an Gott, der „bei so viel Schreien“ schweigt. Das Grundthema der Jazz-Messe klingt auf: Wo ist dieser Gott?

 

Was die Musik betrifft, so sollte zeitgenössischer, gemäßigt moderner Jazz in der Kirche erklingen, wobei auch die besonderen akustischen Bedingungen des Kirchenraums berücksichtigt wurden. Zu Komposition und Arrangement verschiedener Elemente fanden sich drei versierte Jazzmusiker aus dem Kölner und Frankfurter Raum bereit: Manfred Honetschläger, German Marstatt und Peter Reiter-Schaub.

 

Für die vokale Besetzung sind Solisten mit Jazzpraxis vorgesehen wie auch ein Chor, der mit Jazzgesang nicht unbedingt vertraut ist. Die Gegenwartstexte werden von einem Sprecher – der Musik vorangestellt – vorgetragen. Den instrumentalen Teil übernimmt ein größeres Jazz-Ensemble, jeweils mit der Besetzung, die ein bestimmtes Element am besten ausdrücken kann.

 

Die Jazz-Messe ist „ein in sich sehr homogenes Gesamtwerk, das die musikalischen Mittel des modernen Jazz sachte in den Kirchenraum einpasst“ (Tobias Bücker).

 

[33] Sofia Gubaidulina (geb. 1931): Johannes-Passion (2000)

Im Bach-Jahr 2000 hatte die „Internationale Bachakademie“ Stuttgart unter Leitung der Dirigenten Helmut Rilling die Fragestellung aufgeworfen, was von Bachs Geist bis heute überlebt hat und was Religion und Glaube in unserer Zeit bedeuten. Zur Klärung dieser Frage wurden vier Komponisten/innen aus vier verschiedenen Kulturkreisen gebeten, eine Passion nach dem Text je eines der vier Evangelisten zu komponieren. Für dieses Projekt „Passion 2000“ schrieb der deutsche Komponist Wolfgang Rihm eine Lukas-Passion, der Argentinier Osvaldo Golijov eine Markus-Passion; der in New York lebende chinesische Komponist Tan Dun eine Matthäus-Passion und die Russin Sofia Gubaidulina eine Johannes-Passion.

 

Sofia Gubaidulina wurde 1931 in Tschistopol (Tatarische Sowjetrepublik) geboren. Sie studierte Musik an den Konservatorien in Kasan und Moskau. 1992 kam sie nach Deutschland und lebt seither in einem Dorf bei Hamburg. Ihren individuellen musikalischen Ausdruck fand sie in den Miniaturen „Fünf Etüden für Harfe, Kontrabass und Schlagzeug“ (1965). In der Folge entstand eine Reihe von auch religiös inspirierten Kompositionen. Mit der „Johannes-Passion“ schuf sie ihr geistliches Hauptwerk.

 

Die Passion wurzelt tief im Verständnis russisch-orthodoxen Glaubens. Der Text ist in russischer Sprache geschrieben. An musikalischen Mitteln verlangt das Werk ein großes symphonisches Orchester, Orgel, vier Vokalsolisten, großen Chor und Kammerchor. Das Besondere an der Konzeption besteht darin, dass dem zeitlichen Verlauf des Berichts von Jesu Leidensgeschichte eine außerzeitliche Dimension in Form der Apokalypse (Johannes-Offenbarung) gegenübergestellt wird. Diese Durchkreuzung wird auch im Orchester unterstrichen: Die lang ausgehaltenen Töne eines Instrumentes werden von Glissando-Klängen (gleitende Tonbewegungen) eines anderen durchkreuzt; die Schnittpunkte werde jedes Mal akzentuiert. Das ganze Stück ist als eine Verflechtung der Leidensgeschichte mit einem Kommentar aufgebaut. Es entsteht eine Art Responsorium, in dem die Episoden der Johannes-Passion die Rolle der Fragen spielen, während die Rolle der Reaktionen auf die Fragen von den entsprechenden Abschnitten der Apokalypse übernommen wird. Das Werk gliedert sich in elf Episoden (von der Fußwaschung bis zur Grablegung), die man als zweiteilige Form begreifen kann: „Vorbereitung“ und „Das zentrale Ereignis“.

 

 „Mein Stück“, so schreibt die Komponistin, „ist ein Versuch, das auf uns gekommene und in uns lebende Wort Gottes so zu offenbaren, daß sein Fleisch (die zeitliche, ereignishafte ‚Horizontale’, d. h. die Passion) und sein Geist (die außerzeitliche, gedankliche ‚Vertikale’, d. h. das Jüngste Gericht) wiedervereinigt sind, wechselseitig Bezug aufeinander nehmen und sich gegenseitig ausgleichen.“

 


 [34] And On Earth, Peace: A Chanticleer Mass (2007)

Über Jahrhunderte haben sich viele große Komponisten herausgefordert gefühlt, die Messe als musikalisches Kunstwerk zu vertonen, unter ihnen auch nicht-katholische. Nun liegt auf CD eine neue Messe vor mit dem Titel „And On Earth, Peace“ (Und auf Erden Friede). Dabei haben sogar nicht-christliche Komponisten mitgewirkt. Sie wurden ausgesucht von Joseph H. Jennings, dem musikalischen Direktor des amerikanischen Männerchors „Chanticleer“. Mit dieser Messe wird auch der Chorgründer, Louis I. Botto (1951-97), zum zehnten Todestag gewürdigt.

 

Das „Kyrie“ wurde vom US-Amerikaner Douglas J. Cuomo (geb. 1958) komponiert. Dazu erklärt er: „Das erste Kyrie eleison verkörpert den Klang eines Einzelnen in Gemeinschaft mit dem Mystischen in einer Welt von Stille und Kontemplation, Ehrfurcht und Schönheit. Der zweite Abschnitt, Christe eleison, fügt dieser Welt eine dringlichere Bitte um Vergebung und Erbarmen hinzu. Der dritte Abschnitt kehrt zum Material aus dem ersten Kyrie-Abschnitt zurück; doch diesmal ist es nicht der Klang eines Einzelsängers, sondern der einer ‚Menge’ von Stimmen, die laut rufen. All das wird am Beginn und am Schluss gerahmt durch eine Reihe von drei Akkorden, Atemzügen und gesprochenem Text, die Elemente von irdischer Menschlichkeit und Geheimnis hinzufügen...“

 

Das „(Gloria) Everywhere“ wurde von Kamran Ince (geb. 1960), einem konfessionslosen Amerikaner türkischer Herkunft, komponiert, über einen Sufi-Text aus dem 13. Jahrhundert. „Besonders reizvoll für mich ist“, so der Komponist, „dass ich einen Text alternativer religiös-spiritueller Art, passend zu meinem Satz, verwenden konnte.“

 

Das „Credo / Ani Ma’amin“ mit lateinischen, englischen und hebräischen Texten wurde von Shulamit Ran (geb. 1949), einer Jüdin aus Israel, komponiert. Dazu äußert sie sich so: „In der dem Credo zugewiesenen relativ kurzen Zeitdauer wollte ich mit meinem Stück die Bedeutung von Glauben erkunden. Was bedeutet es wirklich zu sagen: ‚Ich glaube an Gott?’ Es war wichtig, so spürte ich, dass mein Credo/Ani Ma’amin auch die Herausforderungen des Glaubens ansprach, angesichts extremer Feindseligkeit, und zwar aus einer jüdischen Perspektive.“

 

Das „Ravenna Sanctus“ wurde vom griechisch-orthodoxen Briten Ivan Moody (geb. 1964) komponiert. Dazu schreibt er: „Im offenkundig ziemlich ‚abstrakten’ Text des Sanctus bringen die Worte ‚Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn’ die offenkundig abstrakte Vorstellung von Heiligkeit zu Erde und Menschheit in einer sehr unmittelbaren Form. Wer sonst kommt im Namen des Herrn als der Mann des Friedens?“

 

Das „Agnus Dei“ wurde vom Iren Michael McGlynn (geb. 1964) komponiert, der die Tradition des gälischen Gesangs verkörpert.

 

Mit dem perfekten Klang von Chanticleer ist es gelungen, in den fünf Mess-Sätzen jeweils eine universale menschliche Wahrheit in einzigartiger Weise zum Ausdruck zu bringen.“

 

 

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