(14. April 2009)
Johann Sebastian Bach (1685-1750):
Italienisches Konzert BWV 971 und Französische Ouvertüre BWV 831
Erläuterungen zum Werk
1735, vier Jahre nach dem Ersten Teil der Klavierübung (sechs Cembalo-Suiten, „Partiten“ genannt), ließ Johann Sebastian Bach einen zweiten Teil folgen. Das Titelblatt der Publikation lautet:
Zweiter Theil der Clavier Übung,
bestehend in einem Concerto nach Italienischen Gusto und einer Overture nach Französischer Art,
vor ein Clavicymbel mit zweyen Manualen.
Denen Liebhabern zur Gemüths-Ergötzung verfertiget von Johann Sebastian Bach...
Man nennt die beiden Werke meist „Italienisches Konzert“ und „Französische Ouvertüre“. Sie sind eigens für ein zweimanualiges Cembalo geschrieben. Gleichzeitig ist jede der beiden Kompositionen einer unterschiedlichen Orchestergattung nachgebildet. Da beide Kompositionen gleichsam Solofassungen orchestraler Musik sind, nehmen sie eine Sonderstellung in Bachs Oeuvre ein, auch wenn das ihrem Nutzen als Musterbeispiele für Schüler keinen Abbruch tut. Bei seinem Dresden-Besuch im Jahr 1736 dürfte Bach neben der neuen Silbermann-Orgel in der Frauenkirche auch auf den verschiedenen Cembali in den Wohnungen seines Freundes und Gönners Hermann Graf von Keyserlingk und anderer Höflinge gespielt haben, die bei der Erlangung des Hoftitels vielleicht behilflich waren. Eine plausible Vermutung ist, dass Bach seine jüngste Veröffentlichung, den zweiten Teil der Klavierübung, mit nach Dresden gebracht hatte und dass er öffentlich oder in privatem Kreis daraus vorspielte; denn es waren Stücke, die dem neusten Dresdner Geschmack für die Vitalität der italienischen Musik und die französische Leichtigkeit entgegenkommen mussten, dies allerdings mit einer noch nie dagewesenen Detailversessenheit. Gleichwohl entspricht keines der beiden Werke den damals neusten Trends in Frankreich oder Italien, vielmehr scheinen sie dem unbeschwerteren Stil der zeitgenössischen italienischen und französischen Musik etwas entgegensetzen zu wollen. Außerdem liefert der Band zwei charakteristische Beispiele für Bachs zunehmende „Gründlichkeit“, das eine eher nebensächlich, das andere tiefgründig.
Das Italienische Konzert überträgt die Formen und Stile eines Konzerts vom Typ Vivaldis auf das Cembalo. Einige der Präludien der Englischen Suiten illustrieren bereits besonders gut die Fertigkeit, mit der Bach italienische Ensemble-Formen auf das Tasteninstrument übertrug: das Präludium zur dritten Suite zum Beispiel ist ein Allegro-Konzertsatz mit dem Wechsel von Tutti und Ritornello. Eine noch auffälligere Übernahme der Konzertform stellt das Concerto im italienischen Stil dar, ein Cembalostück, das die beiden Manuale des Instruments verwendet, um die Tutti-Solo-Kontraste hervorzuheben. Falls das Italienische Konzert schon ein paar Jahre vor 1735 entstand, kann es durchaus sein, dass es in seiner ursprünglichen Fassung keine zwei Manuale vorsah, wie ja auch für die älteren Transkriptionen von Vivaldis Streichkonzerten ein zweimanualiges Instrument nicht zwingend erforderlich war. Im Allgemeinen verdeutlichten die Tastenspieler den Unterschied zwischen Solo- und Tuttipassagen durch den Anschlag, oder sie ignorierten ihn und begnügten sich damit, ihn sich „vorzustellen“ – ein Notbehelf, auf den auch Vivaldi auf den ihm bekannten kleineren Instrumenten angewiesen war. Um 1735 reagierte Bach wohl auf neue Entwicklungen im Bereich der zweimanualigen Cembali. Wie in der übergreifenden Form des Konzerts finden sich auch in den Feinheiten zahlreiche Anklänge an das, was Bach 20 Jahre zuvor beim Transkribieren italienischer Werke gelernt hatte. Dazu gehören der volltönende Eingangsakkord, die verzierten Passagen für den Solopart, der Wechsel zwischen den Stimmlagen, ein langsamer, teilweise ostinater Satz mit einem celloartigen Bass und das atemlose Finale.
Auch in der Französischen Ouvertüre sind die teils schwierigen Manualwechsel dazu gedacht, einen orchestralen Effekt zu erzielen. Wie in den Orchestersuiten verwendete Bach den Titel „Overture“ als pars pro toto für eine ganze Suite, in welcher die Ouvertüre den weitaus umfangreichsten Satz bildet. Eine andere Ähnlichkeit zwischen dieser Ouvertüre und jenen für Orchester liegt in der Tatsache, dass Bach die Allemande ausließ, die in all seinen Cembalo-Suiten vorkommt. Bach komponierte dieses Werk zuerst (etwa 1731) in c-Moll und transponierte es später nach h-Moll; c-Moll entspricht eher der Idiomatik des Instruments und liegt auch besser in der Hand. Bach nahm in der zweiten Fassung weitreichende Änderungen an der Notation des ersten Satzes der Ouvertüre vor: alle Auftakt-Figuren von zwei oder drei Sechzehntelnoten in der c-Moll-Version wurden zu Zweiunddreißigstelnoten in der h-Moll-Version, was zu einem schärferen (überpunktierten) Rhythmus führt. Offenkundig hatte Bach Zweifel, ob die Interpretation dieser Notation, die in seiner Umgebung geläufig war, in weiteren Kreisen (d.h. durch die Publikation) selbstverständlich war.
Die Transposition nach h-Moll geschah wohl im Hinblick auf die Veröffentlichung. Die beiden Werke mit F-Dur und h-Moll liegen tonal so weit wie möglich auseinander: eine Moll-Tonart und eine Dur-Tonart, durch eine Tritonus voneinander getrennt. Außerdem setzt F-Dur die Tonartenfolge der sechs Partiten fort: B-Dur – c-Moll – a-Moll – D-Dur – G-Dur – e-Moll – F-Dur (streng genommen müsste es f-Moll sein). Jedenfalls steuert h-Moll die achte Tonart, den Buchstaben bei, der zur Vervollständigung der deutschen Tonbezeichnungen noch fehlte (A, B, C, D, E, F, G, H). Diese Tonartenfolge ist allerdings kein bloßer Reißbrettentwurf: Die Grundtöne der Klavierübung I bilden aneinandergereiht eine seltsam melodiöse Tonfolge, die durch den nächsten Akkord, den Bach veröffentlichte, komplettiert wird, während bereits der Anfangsakkord des direkt darauf folgenden Stücks (h-Moll) in krassem Gegensatz dazu steht.
Zur Einspielung auf zwei Clavichorden
Anordnung der Instrumente
Die beiden Clavichorde liegen aufeinander, das kleinere Zuckermann-Clavichord oben, das größere Heugel-Clavichord unten. Der Abstand der beiden Tastaturen ist etwas größer als beim zweimanualigen Cembalo, aber noch klein genug, um einen raschen Manualwechsel technisch befriedigend zu bewältigen. Die Klangabstrahlung beim oben liegenden erfolgt freier und direkter, beim unteren gedämpfter und indirekt.
Tonarten
Für die Französische Ouvertüre habe ich wie in der Erstfassung die Tonart c-Moll verwendet. Sie passt auch besser zum Tonumfang der beiden Clavichorde. Aus demselben Grund habe ich das Italienische Konzert von F-Dur nach G-Dur transponiert. So entspricht der höchste Ton (d’’’) dem höchsten Saitenpaar des Heugel-Clavichords. Das tiefe H (anstatt A) im Andante-Satz ließ sich durch Umstimmen des C leichter bekommen.
Klangcharakteristik
Beim Clavichord verklingt der Ton noch schneller als beim Cembalo; auch kann das Clavichord nicht einen so satten und vollen (rauschenden) Klang entwickeln. Diese Nachteile werden dadurch aufgewogen, dass der Spieler durch die Anschlagstechnik den Ton in gewissem Maß beeinflussen kann. Die beiden verwendeten Clavichorde unterscheiden sich nicht in der Lautstärke, sondern in der Klangfarbe und bieten so reizvolle Kontraste.
Tempofragen
Im ersten Satz des Italienischen Konzerts fehlt eine Tempobezeichnung. Mir liegen acht CD-Aufnahmen vor, bei denen durchweg ein hohes Tempo genommen wird (Viertelnote = 88 bis 106 Schläge pro Minute). Statt diesen Satz etwa Allegro oder noch schneller zu spielen, ziehe ich ein ruhigeres Tempo ordinario (Viertelnote = 66) vor, was auch Feinheiten der Artikulation zugute kommt. Der zweite Satz ist mit Andante überschrieben. Die mir vorliegenden Aufnahmen machen daraus eher ein Adagio (Achtelnote = 60 bis 70). Ich bevorzuge ein zügigeres Andante-Tempo (Achtelnote = 76). Der dritte Satz hat die Tempobezeichnung Presto. Gewiss ist Presto schneller als Allegro, doch zu Bachs Zeiten war der Abstand zwischen Tempo ordinario und Presto geringer als heutzutage. In den mir vorliegenden CD-Aufnahmen wird in einem meist extrem hohen Tempo gespielt (halbe Note = 100 bis 116). Da rauscht das Stück wie ein Hochgeschwindigkeitszug vorbei. Ich habe ein weitaus langsameres Tempo gewählt (halbe Note = 70). So kann man wohl besser die artikulatorischen Details verkosten.
Ort und Zeit der Aufnahme: Sankt Augustin, März / April 2009
Literatur
Clemens Romijn: Englische Textbeilage zur Doppel-CD „Italian Concerto / French Overture, Chromatic Fantasy & Fugue, Goldberg Variations“ (Bach Edition CD 27 und 28). Peter-Jan Belder, Cembalo. Brilliant Classics 1999
Peter Williams: J. S. Bach. Ein Leben in der Musik. Berlin (Osburg Verlag) 2008
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Klavierübung, Teil II
Italienisches Konzert:
- 1. Satz (ohne Tempobezeichnung)
- 2. Satz: Andante
- 3. Satz: Presto
Französische Ouvertüre:
- Ouvertüre (Grave – Allegro – Grave)
- Courante
- Gavotte I + II, da capo
- Passepied I + II, da capo
- Sarabande
- Bourrée I + II, da capo
- Gigue
- Echo
Clavichord 1: „Anthony Sidey“ von Heugel (Baujahr 1977)
Clavichord 2: „King of Sweden“ von Zuckermann (Baujahr 2002)
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