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W. A. Mozart (1756-1791):

 

J. S. Bach (1685-1750):

Kunst der Fuge

Klavierübung Teil II

Goldberg Variationen

(2. Juni 2009)

 

Johann Sebastian Bach (1685-1750):

Die Kunst der Fuge BWV 1080

 

Bachs letzte Lebensjahre

Vom Verlauf der letzten Lebensphase Bachs haben wir nur lückenhafte Kenntnisse; doch deutet alles darauf hin, dass die Arbeit an zwei wichtigen Werken weiterging: an der h-Moll-Messe und an der Kunst der Fuge. Man kann sich leicht vorstellen, was den alternden Komponisten dazu bewog, jenes Panoptikum des musikalischen Könnens, das diese beiden einzigartigen Werke darstellen, noch zu erweitern – das eine im Bereich der Vokalmusik, das andere im instrumentalen Bereich. Das eine (Messe) besteht aus grundlegenden Umarbeitungen, das andere (Kunst der Fuge) aus völlig neuen Kompositionen. Doch dass sich Bach zwei so gewaltigen, zeitraubenden Projekten widmete, die beide nicht zum Aufgabenbereich des Kantors gehörten und zu seinen Lebzeiten nicht öffentlich aufgeführt wurden, muss nicht heißen: er zog sich zurück und vernachlässigte die Musik in der Thomaskirche. Denn er hatte schon immer seine eigenen Gründe für die Zusammenstellung musikalischer Zyklen gehabt, und von dem, was er sich vorgenommen hatte, ließ er sich auch nicht leicht abhalten.

 

Bach war in seinen späten Jahren im mehrfachen Wortsinn zu einem einsamen Meister geworden. Besondere musikalische Herausforderungen wie der Kontrapunkt der Kunst der Fuge, der nicht nur komponiert werden wollte, sondern auch zweihändig auf einem Tasteninstrument spielbar bleiben sollte, müssen selbst einen Johann Sebastian Bach sehr viel Zeit gekostet haben. Hierfür bedurfte es akribischer Arbeit, Takt für Takt und Stück für Stück, da gab es keine einfachen Abkürzungen und Patentlösungen. Eine solche Arbeit erforderte nicht nur eine körperliche, sondern auch eine geistige Isolation, denn Bachs Spätwerk erschloss eine noch unerkundete, neue musikalische Welt.

 

Erläuterungen zum Werk insgesamt

Bach hat „Die Kunst der Fuge“ möglicherweise als weiteren (fünften) Teil der „Klavierübung“ angelegt. Zwischen 1742 und 1747 wurden zwölf Fugen und drei Kanons, die auf einem vielfach variierten Grundthema basieren, in Reinschrift kopiert; dabei wurden Umarbeitungen und Ergänzungen vorgenommen. Die Vorarbeiten zur Veröffentlichung begannen ein oder zwei Jahre vor Bachs Tod. 1751, ein Jahr nach seinem Tod, erschienen diese Stücke in einer nicht sehr stimmigen Druckfassung.

 

Ob der Titel „Die Kunst der Fuge“ und die für die Einzelsätze gewählte Bezeichnung „Contrapunctus“ von Bach selbst stammen, ist nicht restlos geklärt, obwohl er offensichtlich keine Einwände hatte, als er die Abzüge der entstehenden Notenstiche durchsah. Die sprachlichen Eigenheiten (Titel und Bezeichnung der Einzelsätze) trugen sicher dazu bei, das Werk mit einer mystischen Aura zu umgeben – was zweifellos der Absicht der Herausgeber entsprach.

 

Bach konnte auch auf frühere, weniger systematisch strukturierte Fugensammlungen anderer Komponisten (Jean-Henri d’Anglebert: Pièces de clavecin, 1689) reagiert und sich das Ziel gesetzt haben, ein größeres, besseres, „gründlicheres“ Vermächtnis zu hinterlassen. Eine positive musikalische Inspiration zu diesem Schema war in der Zeit um 1742 sicher auch die gleichzeitige Arbeit am Wohltemperierten Klavier Teil II; denn schon allein dessen breite Palette an Stilrichtungen, Themen und Tonarten könnte die Anregung dazu geliefert haben, eine andere Art von Vielfalt zu entwickeln, und zwar auf der Basis eines einzigen Grundthemas und einer einzigen Tonart, die beide zu ganz unterschiedlichen Zwecken erkundet werden sollten.

 

Welche Form die Kunst der Fuge annehmen sollte, wird aus der erhaltenen Manuskriptmappe und dem Originaldruck nur grob ersichtlich. Der Gesamtplan sieht vor, dass die Musik im Lauf des Bandes immer schwieriger wird und dass vor dem Finale mit vier Kanons Beispiele eines strengen Kontrapunkts eingeschoben werden. Es könnte sein, dass die Kunst der Fuge keine feststehende Form hatte, denn dem gesamten Spätwerk Bachs haftet etwas von einem work in progress an. Was eine Art Mappe für die Kunst der Fuge gewesen zu sein scheint, enthielt mindestens eine Version der regulären Fugen plus Adaptationen, Überarbeitungen, möglicherweise eine vervollständigte Schlussfuge und darüber hinaus noch weitere Sätze.

 

Das Anlegen einer solchen Mappe lässt auf einen Komponisten schließen, der unermüdlich Beispiele zusammenträgt, die Möglichkeiten der Themenbehandlung durchexerziert, verschiedene Harmonisierungen erprobt und das Potenzial der Töne erforscht. „Forschungsprojekt“ wäre kein unpassender Ausdruck für eine Sammlung von Sätzen, deren Stimmengeflecht nicht nur von Satz zu Satz komplexer wird, sondern die auch immer aufs Neue das gleiche Thema umgestalten.

 

Die Komposition mag auch als Fortsetzung des „Musikalischen Opfers“ (1747) erscheinen, da sie aus einer Reihe von kontrapunktischen Variationen besteht, die alle auf demselben Thema gründen und in derselben Tonart stehen. Es besteht sogar eine melodische Ähnlichkeit zwischen beiden Werken: Das Thema der Kunst der Fuge stellt eine Art Zusammenfassung des „königlichen Themas“ des Musikalischen Opfers dar. Bei den meisten Variationszyklen verzichtete Bach auf jegliche Angabe wie zum Beispiel der Instrumentierung. Die musikwissenschaftliche Forschung hat jedoch überzeugend nachgewiesen, dass Bach seinen Schwanengesang für ein Tasteninstrument schrieb, am wahrscheinlichsten das Cembalo.

 

Während beim Musikalischen Opfer das Schwergewicht auf kanonischen Formen (die strengste kontrapunktische Technik) lag, werden in der Kunst der Fuge alle Möglichkeiten einer Fugenkomposition erkundet. Trotz oder vielleicht aufgrund seiner relativen Einfachheit und Bescheidenheit ist das Thema besonders wirkungsvoll als Grundstein dieses monumentalen Gebäudes. Das Thema ist vollkommen regelmäßig und symmetrisch. In Umkehrung gespielt bleiben die wichtigsten Intervalle fast unverändert. Wenn das Thema mit seiner Umkehrung kombiniert wird, ergibt sich ein vollkommen befriedigender zweistimmiger Kontrapunkt. Wenn Bach sein Thema in kontinuierlich wechselnden rhythmischen und melodischen Variationen behandelt, entwickelt er allmählich ein vollständiges Lehrbuch der Fugenkomposition. Jeder „Contrapunctus“ bietet die gültige Lösung eines Grundproblems der Fugenkomposition.

 

Die traditionellen Tonartencharakteristiken, wie sie in den üblichen Stimmungen ihren Ausdruck fanden, verliehen der Kunst der Fuge besondere Assoziationen: Ihr d-Moll zitiert den „ersten Ton“ (tonus primus) vieler Tastenmusiksammlungen aus dem 17. Jahrhundert, eine Tonart, der ein ruhiges und gelassenes Wesen zugeschrieben wurde.

 

In ihrer komplexen Konzeption, bisweilen in der Verwickeltheit jedes einzelnen Takts erwecken Bachs späte Werke den Eindruck, dass er hier eine neue Kategorie geschaffen hat: den transzendentalen Stil – einen Stil, der über die bloße Sinneserfahrung oder die musikalische Grammatik und Logik hinausgeht. Auch wenn die Kunst der Fuge in allen Elementen ihrer Tonsprache in den vorausgegangenen Bach-Fugen wurzelt, wird hier dieser eigenständige Stil doch auf verschiedenen Ebenen greifbar: Sie transzendiert das Tasteninstrumentale, indem sie sich von zeitgenössischer Cembalo- und Orgelmusik unterscheidet und indem sie sich auch für andere Instrumente einrichten lässt; sie transzendiert eine bloß grammatische Komplexität, indem sie sich auf die fundamentalste musikalische Beziehung von Tonika und Dominante konzentriert; und obwohl sie in vielerlei Hinsicht lehrreich ist, transzendiert sie auch das bloß Didaktische, indem sie noch ungleich mehr zu bieten hat. All das führt im Ergebnis dazu, dass sie auch den herkömmlichen zeitgenössischen Ausdrucksumfang der musikalischen „Affekte“ zu transzendieren scheint, also auch unabhängig von etwaigem affektivem Ausdruck existiert. Wenn die Kunst der Fuge überhaupt etwas „ausdrückt“, dann ist dies so schwer fassbar, dass viele dieses Werk als „abstrakte Musik“ bezeichnet haben. Doch veranschaulicht dieser Terminus lediglich die Schwierigkeit, für ein derart außergewöhnliches musikalisches Erlebnis Worte zu finden.

 

Einzelheiten zu ausgewählten Sätzen

Das Werk beginnt mit einer Gruppe von Fugen, die auf dem Thema in seiner ursprünglichen Form und seiner Umkehrung gründen. Contra-Fugen und Stretto-Fugen folgen, indem sie das Thema nicht nur in seiner ursprünglichen Form und Umkehrung verwenden, sondern auch in verdichteter („Diminution“) und gedehnter („Augmentation“) Form: die Notenwerte des Themas sind verkürzt oder verlängert, so dass es doppelt so schnell oder doppelt so langsam klingt. Bach demonstriert das Potential von Fugen mit zwei oder drei Themen.

 

Contrapunctus 8 und 11

Contrapunctus 8 und 11 sind zwei überaus sorgfältig ausgesponnene Fugen von je fast 200 Takten Länge. Deren verschiedene Themen werden auf meisterhafte Weise verarbeitet, so dass eine ganz eigenständige musikalische Gestalt entsteht: Nur sehr allmählich geben sich die Themen zu erkennen, die lange Dauer der Fugen wird durch unübersehbare formale „Wegschilder“ gegliedert, und beide Stücke sind durch sich steigernde Spannungsbögen gekennzeichnet. Wenn die Themen dann schließlich zusammenfinden, ist die abschließende Themenwiederholung kurz und bündig, ohne einer in die Länge gezogenen Kadenz zu bedürfen, wie sie damals beliebt war.

 

Contrapunctus 12

Der erstaunlichste (wenngleich nicht der komplizierteste) Contrapunctus der gesamten Reihe ist die vierstimmige Spiegelfuge. Hier schreibt Bach alle Stimmen „rectus“ (in ihrer ursprünglichen Form) und nachfolgend „inversus“ (in Umkehrung). Um den „Gedanken“ doppelt zu realisieren, wird der Sopran des „rectus“ zum Bass des „inversus“, der Alt tauscht seinen Platz mit dem Tenor, der Tenor mit dem Alt und der Bass mit dem Sopran, so dass die gesamte Komposition auf den Kopf gestellt ist.

 

Canon 14 bis 17

Bei drei der vier zweistimmigen Canons stehen die jeweiligen Stimmen im Abstand einer Oktave (15), einer Dezime (16) und einer Duodezime (17); bei Canon 14 ist die zweite Stimme eine Umkehrung der ersten mit verdoppelten Notenwerten. Dieser ganze Erfindungsreichtum dient einem musikalischen Zweck; denn er führt zu Harmonien, die als neu und „weltenthoben“ erlebt werden – eine Musik, die eine beispiellose Herausforderung an die Logik des konventionellen Harmonieverlaufs darstellt. Darüber hinaus liefert dieser Erfindungsreichtum Musterbeispiele für die Komposition von Musikstücken, die damals sehr beliebt waren und sich eher für private Studien als für öffentliche Konzerte eigneten.

 

Contrapunctus 18

Der letzte Contrapunctus (Tripelfuge – mit drei Themen), der den Gipfel des Werks bilden sollte, bleibt unvollendet. Nachdem der Komponist seine Unterschrift unter das Werk gesetzt hat (die Noten das Namens B-A-C-H entsprechen den Tönen b, a, c und h), hört der Contrapunctus mit Takt 239 plötzlich auf. Spätere Generationen sahen sich vor die schwierige und doch faszinierende Aufgabe gestellt zu erraten, was Bach im Sinn hatte. Unter dieser Rücksicht ist es bemerkenswert, dass das Hauptthema der Kunst der Fuge mit jedem der drei Themen dieser unvollendeten Fuge kombiniert werden kann. Es ist daher recht plausibel, dass diese große Fuge in der Tat, wie im 18. Jahrhundert behauptet, als Fuge mit vier Themen konzipiert war, eine Quadrupelfuge, die den monumentalen Schlussstein der Kunst der Fuge bilden sollte.

 

Es bleibt die Frage: Wurde die Schlussfuge fertiggestellt oder nicht? Die letzte Seite des Manuskripts war unbrauchbar, weil die Notenlinien nicht sauber gezogen waren, so dass für eine Fortsetzung auf jeden Fall ein neues Blatt benötigt wurde. Dass in einer Vorstufe die letzte Themenkombination wahrscheinlich auf dem Papier ausgearbeitet wurde, muss nicht bedeuten, dass die Fuge jemals vollendet wurde. Kann die Tatsache, dass uns kein Schluss bekannt ist, nicht auch darauf hinweisen, dass es nie einen solchen Schluss gegeben hat? Trotz der ungemein gewandten Art, wie die drei Themen der Schlussfuge bis zum Abbruch bearbeitet werden, trotz des perfekten dreifachen Kontrapunkts könnte die schonungslose Ausbeutung des Tonmaterials für den Komponisten genau so anstrengend gewesen sein wie für manchen Hörer.

 

Zur Einspielung auf zwei Clavichorden

Tempofragen

Die einzelnen Sätze der Kunst der Fuge enthalten keine Tempoangaben. Die Frage ist also, wie ein angemessenes Tempo (tempo giusto) zu nehmen sei. Auf der Suche nach einem einheitlichen Tempo für möglichst alle Sätze hat sich der Grundschlag bei rund 48 (Schläge pro Minute) eingependelt. Ausnahmen bilden wegen ihrer Eigenart Contrapunctus 6 (in Stylo francese – im Stil der Französischen Ouvertüre) mit 60 Schlägen und Contrapunctus 9 mit 56. Ebenso müssen die Canones ein je eigenes Tempo erhalten; meine Wahl für Canon 14: halbe Note = 50; Canon 15: punktierte Achtelnote = 70; Canon 16: Viertelnote = 66; Canon 17: punktierte Achtelnote = 66.

 

Einsatz der beiden Clavichorde

Das gebundene Zuckermann-Clavichord „King of Sweden“ (auf dem bundfreien Heugel-Clavichord „Anthony Sidey“ aufruhend) hat eine kurze Oktave; es fehlen also im Bassbereich die Töne Cis/Des, Dis/Es, Fis/Ges und Gis/As. Daher werden die meisten Sätze auf dem Heugel-Clavichord gespielt. Bei einzelnen Sätzen oder Satzteilen kommt das Zuckermann-Clavichord zum Zug, wodurch auch reizvolle Klangkontraste zu hören sind.

 

 

Ort und Zeit der Aufnahme: Sankt Augustin, März-Juni 2008 / April 2009

 

Literatur

Clemens Romijn: Erläuterungen zur Doppel-CD „Kunst der Fuge“, Menno van Delft, Cembalo (Bach-Edition CD 91 und 92 – Brilliant Classics) 1999

Peter Williams: J. S. Bach. Ein Leben in der Musik. Berlin (Osburg Verlag) 2008

 

 

DIE KUNST DER FUGE

Contrapunctus 1

Contrapunctus 2

Contrapunctus 3

Contrapunctus 4

Contrapunctus 5

Contrapunctus 6

Contrapunctus 7

Contrapunctus 8

Contrapunctus 9

Contrapunctus 10

Contrapunctus 11

Contrapunctus 12 rectus

Contrapunctus 12 inversus

Contrapunctus 13 rectus

Contrapunctus 13 inversus

Canon 14

Canon 15

Canon 16

Canon 17

Contrapunctus 18

 

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